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Guggenheim-Kreuzberg-Affäre: Berlin zeigt sich von seiner feindseligen Seite

Ausgerechnet im multikulturellen Kreuzberg gibt eine kleine Gruppe vor, was im Kiez geht und was nicht. Die Standortsuche für das Guggenheim-Projekt geht jetzt weiter. Und im Kiez bleibt alles beim Alten.

Es ist eine Frage von Metern. Hier sitzt man schön im Restaurant am Wasser, bei Wiener Schnitzel und grünem Veltliner, dort lagert man, bei Flaschenbier und Mitgebrachtem, auf einer heimeligen Brache an der Spree. Dazwischen brutzeln im Verkehrsgetöse, unter der Bahnbrücke, die Burger, und vom Club her wummern die Bässe. So ist das in Kreuzberg an der Oberbaumbrücke, im alten, ewig jungen SO 36. Dicht beieinander liegen Szenen und Kulturen, die schwäbischen, anatolischen, iberischen Migrationshintergründe; die Glasscherbenberge, die zerbeulten Fahrräder, die Liebesschlösser am Brückengeländer.

Dieses idyllische Biotop scheint bedroht. Für einige Kreuzbergritter und -retter heißt der Feind BMW/Guggenheim, also Kunst im Verbund mit Kapital, während der Berliner Innensenator sofort „Chaoten“ am Werk sieht. Gleichwie: Der Schaden ist groß. Der Ruf Berlins als weltoffene, experimentierfreudige Metropole hat gelitten. Es tut weh. Es trifft alle.

Ende Mai sollte an der Schlesischen Straße das „BMW Guggenheim Lab“ zu Kunstaktionen und Debatten über Stadtentwicklung im 21. Jahrhundert einladen. Daraus wird nichts, jedenfalls nicht in jenem Kreuzberg, das in Wahrheit nach fantasievollen, auskömmlichen urbanen Konzepten schreit. Nein, alles bestens hier, bloß keine Veränderung! Nach Drohungen aus der Anarcho-Ecke wird ein neuer Standort in der Hauptstadt gesucht.

Es tut weh, weil eine kleine, anonyme Gruppe bestimmt, wer wo wie diskutiert. Nach New York, dort ist der Museumskonzern Guggenheim zu Hause, wäre Berlin die zweite Station des temporären Think-Tanks, danach geht es nach Mumbai. Neun Städte will das Lab in sechs Jahren testen. Unsere Mega-City ist fürs Erste durchgefallen, just im multikulturellen Kreuzberg. Weil ein paar Obelixe die globalen Dimensionen ablehnen und die Furcht vor Gentrifizierung schüren. Das Guggenheim-Projekt, so läuft die Argumentation, funktioniert wie ein Trojanisches Pferd: Erst kommen die Künstler und Intellektuellen, dann die Investoren. Und dann steigen die Preise, werden die Mieter verjagt.

So kann es passieren, aber es ist kein Naturgesetz. Denn Berlin befindet sich in einer Ausnahmesituation: Die Stadt lebt von ihrer tatsächlichen oder eingebildeten Kreativität; wovon sonst? Ihre staatlich subventionierten Museen und Bühnen strahlen weltweit aus. Das gilt ebenso für die Häuser, die wir privater Initiative verdanken, wie das Radialsystem am anderen Spreeufer; auch dies ein Labor für neue Formen der Kommunikation. Auch hier werden Sponsoren gebraucht. „Die Künste in ihrer Vielfalt und in ihrem Zusammenspiel machen die Attraktivität Berlins aus und sind ein entscheidender Wirtschafts- und Tourismusfaktor“. Dieser Satz stammt weder vom Senat noch von einer Agentur. Damit begründet eine neue, künstlerische „Koalition der Freien Szene“ ihre Forderung nach flexibler Förderung.

Es gibt auch Menschen in Berlin, die weder kreativ sein können noch wollen, die ein Lab für Gelaber halten. Aber Berlin ohne kulturelles, wissenschaftliches Potenzial, ohne verrückte Ideen, ohne Träumer und Visionäre, das wird nicht gut gehen. Das hat keine Tradition. Deshalb schmerzt die Guggenheim-Kreuzberg-Affäre: Weil die Stadt sich von einer hässlichen, feindseligen Seite zeigt. Penthouse und Tiefgarage sind noch keine Zukunft. Aber die liegt auch nicht auf zugemüllten Freiflächen und in kaputten Altbauten. Darüber muss man reden. So ein Lab ist nur ein Anfang.

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