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Meinung: Gute Zeiten, bessere Zeiten

Im Karikaturenstreit sind die europäischen Muslime bislang gewaltfrei, auch bei uns

Der Karikaturenstreit bringt jeden Tag neue, meist deprimierende Erkenntnisse. Wie schnell sich unter Muslimen Hass und Gewalt gegen den Westen schüren lassen, ist so eine. Nun aber gibt es eine gute Nachricht: Die europäischen Muslime lassen sich von den aufgepeitschten Emotionen nicht anstecken.

Eine Demonstration in London und eine in Dänemark waren bislang die einzigen Proteste von Türken und Arabern auf europäischen Straßen. Doch es gab keine gewaltsamen Ausschreitungen, keine brennenden Fahnen, obwohl deutsche und französische Zeitungen die umstrittenen Zeichnungen nachgedruckt haben – stattdessen mäßigende Worte und Presseerklärungen. In den vergangenen Tagen hatten bereits einzelne türkische Organisationen in Deutschland der Gewalt eine Absage erteilt, gestern verurteilten 16 Spitzenverbände der hiesigen Türken gemeinsam die Ausschreitungen und kritisierten „aus tiefstem Herzen und religiöser Überzeugung“ die Hetze des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad gegen Juden. Dass sich so viele Verbände zusammenfinden, um öffentlich gegen das Verhalten von gewalttätigen Muslimen zu protestieren, ist einmalig, zumal die Erklärung nicht nur von den ganz Harmlosen unterzeichnet wurde, sondern auch von solchen Gruppierungen, die seit Jahren im Verdacht stehen, selbst fundamentalistisch zu sein.

Nach dem 11. September 2001 und nach den Anschlägen in Madrid und London haben muslimische Organisationen in Europa zwar auch schon per Fax und auf zahlreichen Podiumsdiskussionen Gewalt verurteilt. Dennoch blieb ein tiefes Misstrauen der meisten Deutschen gegenüber den Muslimen und verstärkte sich von Anschlag zu Anschlag. Kann man den Muslimen trauen? Sprechen sie nicht mit gespaltener Zunge? Im Moment zeigt sich, dass die Erklärungen ernst gemeint sind.

Die übliche Gegenüberstellung von „wir“, die Nichtmuslime, und „die“, die Muslime, wie sie in den Debatten um den „Muslimtest“ und die Deutschpflicht auf dem Weddinger Schulhof wieder zu Tage trat, scheint zum ersten Mal aufgehoben. Nun stehen wir Gewaltlosen, egal ob Atheisten, Christen, Juden oder Muslime, gegen die Gewalt zusammen. Das alleine ist schon ein Grund zur Freude – und macht Hoffnung auf mehr.

Vielleicht entsteht hier ja tatsächlich so etwas wie ein europäischer Islam. Ein Islam, der aufgeklärt und gewaltfrei gelebt wird, sich mit den westlichen Demokratien verträgt und zurückstrahlen könnte auf Muslime im Nahen Osten. Sicher ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Der Anfang wäre gemacht, wenn sich alle gegenseitig etwas mehr vertrauen würden und statt Dialog-Gefasel echte Gespräche geführt würden. Europäische und besonders deutsche Muslime tun im Moment jedenfalls viel, um unser aller Vertrauen zu gewinnen. Das sollten wir nicht so schnell wieder vergessen.

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