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FDP-Chef Philipp Rösler.

© dpa

Gutmenschen und Tugendterroristen: Rösler ist der Spießer, nicht Trittin

Philipp Rösler geißelt die Grünen als "neue Spießer". Aus Sicht des FDP-Chefs will der böse Gutmensch alles verbieten, was Spaß macht, vom billigen Einkaufen bis zu sexistischen Ressentiments. Das ist eine tief im deutschen Wohnzimmer verwurzelte Weltsicht - spießig und illiberal.

Von Anna Sauerbrey

Bei den Kommunalwahlen in Großbritannien hat die Independence Party im Schnitt fast ein Viertel der Stimmen geholt. Die Botschaft der Partei und ihres schrulligen Anführers Nigel Farage lässt sich am besten in dem Halbsatz zusammenfassen: „Man wird doch wohl noch …“ Man wird doch wohl noch gegen Europa sein dürfen. Man wird doch wohl noch weniger Einwanderer wollen dürfen. Und man wird doch wohl noch – excuse me! – im Pub mal eine rauchen dürfen.

In Deutschland ist eine vergleichbare Partei nicht in Sicht. Gegen die wonnevolle politische Unkorrektheit eines Farage wirkt die „Alternative für Deutschland“ so unangepasst wie die Regensburger Domspatzen. Doch es scheint ein wachsendes Wählerpotenzial zu geben. Jedenfalls ist das Schimpfen auf „Tugendterroristen“ und „Ökofaschisten“ in Mode. Verortet werden diese Schädlinge im Holz der liberalen Gesellschaft bei den Grünen, den Protestanten oder in Brüssel. Beschworen werden sie vom mittig bis konservativ gesinnten Politfeuilleton und natürlich von der FDP.

Philipp Rösler geißelte die Grünen als „neue Spießer“ und Jürgen Trittin als „Räuber Hotzenplotz“. Das dürfte Beleg dafür sein, dass der FDP-Chef selbst in einem gutmenscheligen Haushalt groß geworden ist, in dem die Figuren von Otfried Preußler das Böseste darstellten, das der reglementierte Medienkonsum hergab. Aber wir wollen nicht psychologisieren. Wie man ihn auch nennt: Aus Sicht der Röslers will der böse Gutmensch alles verbieten, was Spaß macht, vom billigen Einkaufen bis zu sexistischen Ressentiments. Und er will zu! viel! Staat! Das ist Sozialismus. Und das wird man doch noch sagen dürfen.

Nun könnte man den verbalen Aufstand als Renaissance jenes Liberalismus begrüßen, den Deutschland dringend braucht, als Anlauf, die persönlichen Freiheiten des Einzelnen zu stärken. Nur beziehen sich die Hauptklagen merkwürdigerweise auf Regelungen, die mit der Menschenwürde, der Meinungs- und Religionsfreiheit, dem Schutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses herzlich wenig zu tun haben. Gemeckert wird in der Regel über das Rauchverbot, den teuren Ökostrom, Antidiskriminierungsregeln, Ernährungskampagnen und Geschwindigkeitsbegrenzungen. Als schützte das Allgemeine Persönlichkeitsrecht Pommes mit Mayo und 1,5 Promille plus 210 Stundenkilometer auf der Autobahn. Andere, aus rechtsstaatlicher Perspektive weit problematischere Eingriffe hingegen werden weniger laut beklagt. Kaum jemanden interessierte es, dass der Bundestag jüngst die Rechte der Behörden ausweitete, Bürgers Daten von Telekommunikationsanbietern abzufragen – ohne Richterbeschluss. Kaum jemand verteidigt das Recht von Beamtinnen, im Beruf ihr Kopftuch zu tragen.

Übersehen wird auch, dass es bei vielen der beschimpften „Einmischungen des Staates“ im Kern gar nicht um die Verbesserung/Gängelung des Reglementierten geht, sondern um den Schutz von Dritten. Das Rauchen in Kneipen gehört nicht verboten, um Raucher vor sich selbst zu schützen, sondern um die Nichtraucher vor den Rauchern zu schützen. Regeln gegen Diskriminierung sind keine Umerziehungsmaßnahmen für notorische Machos, sondern schützen Frauen vor unangenehmen Situationen. Es ergibt Sinn, die Deutschen aufzufordern, teurere Kleidung zu kaufen, nicht, weil Geiz ein hässlicher Charakterzug ist –, sondern um Näherinnen in Bangladesch einen sicheren Arbeitsplatz zu garantieren. Und es ist richtig, Autos mit einem hohen Verbrauch peu à peu vom Markt zu drängen. Nicht, um die Wohlhabenden zu mehr Bescheidenheit zu zwingen. Sondern um den Klimawandel zu bremsen.

Die Alternative zu einer globalen Perspektive der Rücksicht ist eine Weltanschauung, die die eigenen (niederen) Gelüste über das Recht Dritter stellt: Es ist eine tief im deutschen Wohnzimmer und tief im inneren Wohnzimmer verwurzelte Weltsicht, ein verquerer Mix aus Zynismus und Biedermeier. Es ist genau das, was den „Ökoterroristen“ vorgeworfen wird. Es ist spießig und illiberal.

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