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Meinung: Hände weg von Kongo!

Ein Einsatz der Bundeswehr wäre bar jeder Verantwortung Von Walther Stützle

Macht ist das Thema – nicht Menschlichkeit. Der entscheidende Satz fiel im Februar in München: „Das wiedervereinte Deutschland ist bereit“, sagte die Kanzlerin bei der internationalen Wehrkundetagung, „auch vermehrt Verantwortung zu übernehmen, und zwar über das eigentliche Bündnisgebiet hinaus, zur Sicherung von Freiheit, Demokratie, Stabilität und Frieden in der Welt.“ Für Jacques Chirac muss diese programmatisch hoch angereicherte Botschaft der Kanzlerin wie eine öffentliche Aufforderung geklungen haben, die Kollegin von der Spree beim Wort zu nehmen. Das Kongothema bot sich an – stand es doch ohnehin auf seiner und der internationalen Tagesordnung.

Das Land soll im Juni einen Präsidenten und ein Parlament wählen und damit, wie viele hoffen und glauben, auf den Weg zur Demokratie einschwenken. 17000 UN-Blauhelmsoldaten sind bereits im Land; doch angeblich reicht ihre Kraft nicht, um die Wahlen zu sichern. Nun soll die Europäische Union einspringen, mit 1500 Soldaten für einen Zeitraum von vier Monaten, um Wahlbeobachter und andere Zivilisten zu schützen, den Flughafen in Kinshasa zu sichern und um die UN-Soldaten „in Krisensituationen“ zu unterstützen.

Ein erstaunlicher Vorgang vollzieht sich hier vor unser aller Augen und Ohren. Den Einsatzbefürwortern ist es gelungen, die Kongodebatte auf das Nebengleis der militärischen Machbarkeit abzuschieben. Die Frage nach dem politischen Konzept, das mit dem Einsatz von Soldaten verfolgt werden soll, wird von der Behauptung verdrängt, es gehe um die Demokratie in Kongo. Dabei gibt es ein viel weiter reichendes Kongokonzept – vielleicht nicht in Berlin, wohl aber in Paris.

Worum geht es? Afrika ist arm an Wohlstand, aber reich an Bodenschätzen. Vom Erdöl bis zum Uran, von Kobald über Platin bis Titan – alles, was selten und teuer ist, findet sich in afrikanischer Erde. Unter den afrikanischen Staaten aber ist die Demokratische Republik Kongo das rohstoffreichste Land – das Land, mit dem größten Potenzial. Der Wettlauf um die Ausbeutung der afrikanischen Rohstoffe ist längst und heftig im Gange, auch in Kongo – Amerikaner und Chinesen gehen dabei planvoller zu Werke als die Europäer. Gegen sie in Afrika den Wettlauf um Einfluss, Macht und Rohstoffe zu verlieren, ist für Frankreich undenkbar.

Paris ist entschlossen, das Blatt zu wenden. Statt Schauplatz für afrikanische Flüchtlingsdramen zu sein, soll von Europas Küsten künftig Präsenz in Afrika ausgehen. Den Flüchtlingsstrom erst gar nicht entstehen zu lassen, die Bodenschätze dort heben wo sie sich befinden – Afrikapolitik in Afrika betreiben – das ist der Kern der im Dezember des letzten Jahres beschlossenen, weithin unbeachteten Afrikastrategie der EU mit dem keineswegs unbescheidenen Titel: „Die EU und Afrika: Auf dem Weg zu einer Strategischen Partnerschaft“. Sechs Ziele nennt die Strategie – auf Platz eins stehen „Frieden und Sicherheit“, – zu erreichen, unter anderem und im Dokument an prominent vorderer Stelle genannt, – mit militärischen Kriseneinsätzen der Europäischen Union.

Kann es ein langfristigeres Ziel geben, als zwischen der EU und Afrika eine strategische Partnerschaft zu begründen? Vielleicht das gleichfalls bisher nicht erreichte Ziel einer weltweiten Abrüstung! Die EU-Afrika-Strategie erlaubt nicht, den Verharmlosern das Feld zu überlassen – jenen, die sagen, es gehe um den Schutz von Wahlbeobachtern und nach vier Monaten sei alles vorbei und die noch lebenden Soldaten seien wieder zu Hause. „EU und Kongo“ ist zuvörderst ein politisches Thema, kein militärisches.

Außenpolitische Gedankenfaulheit mit dem Einsatz von Soldaten zu überspielen, ist folgenschwere Unvernunft. Soldaten als Wahlbeschützer auszugeben, aber tatsächlich in eine kriegsähnliche Unordnung zu schicken, ist bar jeglicher Verantwortung. Sie hingegen klammheimlich für die Ziele der EU-Afrika-Strategie einzusetzen, also zu verschweigen, dass eine langwierige militärische Afrika- Präsenz gemeint ist, grenzt an Selbstaufgabe parlamentarischer Verantwortlichkeit. Jacques Chirac dürfte die Dimension des Engagements geläufig sein; Berlin hingegen gibt sich unverändert als Demokratie-Missionar. Französische Macht und deutsche Menschlichkeit auf dem Weg nach Afrika – mit welchem Ziel?

Derzeit wackelt der Wahltermin in Kongo wieder. Der Bundestag sollte diese Gunst nutzen und eine ehrliche und maßvolle Debatte über eine plausible Afrikapolitik beginnen – bevor deutsche Politik auf dem Charme von Jacques Chirac ausrutscht, wie Peter Ramsauer, der Chef der CSU im Bundestag, es formuliert hat, und, vor allem, bevor Deutschland sich auf ein militärisches Abenteuer einlässt, das Soldatenleben für unerklärte Politik riskiert.

Der Autor war von 1998 bis 2002 Staatssekretär des Verteidigungsministeriums, zuvor gehörte er zur Chefredaktion des Tagesspiegels. Heute ist er Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik.

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