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Meinung: Hahnenkämpfe in Haiti

In der Karibik wird nicht nur um die Macht gekämpft, sondern auch um Drogen / Von Hans Christoph Buch

Die Medien sind wie die Geier – sie kommen nur nach Haiti, wenn Blut fließt", sagt die Besitzerin des Hotels Oloffson in Portau-Prince, das in Krisenzeiten als Pressezentrum und Nachrichtenbörse fungiert. Die alte Dame hat recht, und es ist schwer zu sagen, was peinlicher ist: Die Unwissenheit vieler Journalisten oder deren Unwillen, sich auf die örtlichen Gegebenheiten einzulassen. Gegner und Anhänger von Staatschef Aristide, bewaffnete Rebellen und friedlicher Protest werden undifferenziert gleichgesetzt, und den rassistischen Tiefpunkt markierte eine Frankfurter Sonntagszeitung, die Haiti als „so genanntes Land“ verspottete und unter Berufung auf Kant dazu aufrief, die Mohren zu züchtigen, „damit das Blut einen Ausgang finde und nicht unter der dicken Haut eitere“.

Über Geschmack kann man streiten: Nicht aber darüber, dass Napoleons vernichtende Niederlage auf Hispaniola, die diesen zum Verkauf Louisianas an die USA bewog, keineswegs „weltpolitisch irrelevant“ war, wie die Sonntagszeitung meint. Haiti ist der einzige aus einem Sklavenaufstand hervorgegangene Staat der Welt und zugleich die zweitälteste Republik Amerikas, deren 200-Jahr-Feier mit der tiefsten Krise zusammenfällt, die das Land in seiner turbulenten Geschichte durchgemacht hat.

Konstitutioneller Machtwechsel blieb die Ausnahme in Haiti, Umstürze waren die Regel, und zweimal im 20. Jahrhundert sah Washington sich zum Eingreifen genötigt: 1915 um die deutsche Präsenz auf Haiti einzudämmen, 1994 um den Exodus der Boat-People zu stoppen. Ein Nebenprodukt der von den UN beschlossenen Intervention war die Rückkehr des frei gewählten, 1991 von Putschisten vertriebenen Präsidenten Aristide.

Dass der Hoffnungsträger von damals nicht hielt, was er versprach, und sich in seiner zweiten Amtszeit vom Befreiungstheologen zum Unterdrücker wandelte, der sich durch Macht und Geld korrumpieren ließ, spricht sich auch außerhalb Haitis allmählich herum. Weniger bekannt ist, dass Aristide dem Medellin-Kartell als Pate diente und Port-au-Prince zum Eldorado für Drogenkuriere verkommen ließ, die Crack und Kokain nach Florida befördern. In diesem Milieu rekrutierte das Regime seine als „Chimères" bezeichneten Schlägertrupps, deren Anführer sich von Aristide abwandten, als dieser sie unter dem Druck des FBI zum Abschuss freigab, allen voran den im Regierungsauftrag getöteten Drogenbaron Amiot Métayer, dessen zur Widerstandsfront umfunktionierte „Armée Cannibale" die Hafenstädte Gonaives und Cap Haitien beherrscht und, unter Führung seines Bruders Buteur Métayer, zum Marsch auf Port-au-Prince bläst.

Auch das ist nichts Neues in Haiti, dessen Hauptstadt mehrfach von Aufständischen geplündert worden ist, während das Land vorübergehend in eine Mulattenrepublik im Süden und ein schwarzes Königreich im Norden zerfiel. Die Abspaltung ganzer Provinzen ist eine realistische Option in einem rechtsfreien Raum, wo die Regierung nur auf dem Papier existiert und weithin durch Abwesenheit glänzt. Haiti ist zwar kein Schurkenstaat, aber ein zerfallender Staat wie Somalia, in dem gewöhnliche Verbrechen ebenso ungesühnt bleiben wie politisch motivierte Morde an Regimekritikern.

Der Exodus der Boat-People könnte zur Springflut anschwellen, die George W. Bush im Wahljahr äußerst ungelegen kommt. Schon jetzt fliehen täglich Haitianer in die Dominikanische Republik, von wo aus exilierte Armeeführer und Anhänger des Duvalier-Regimes nach Haiti einsickern, und die Aufforderung des State Department, das Land zu verlassen, hat zu Panikbuchungen geführt.

Die US-Behörden in Guantanamo richten sich auf die Aufnahme von bis zu 20 000 Flüchtlingen ein, die nach Ablehnung ihrer Asylanträge zwangsrepatriiert werden müssten – ungefähr so, schreibt die „New York Times“, als schicke man Überlebende einer Feuersbrunst in ihr brennendes Haus zurück. Werden keine Löscharbeiten in Angriff genommen, breitet sich ein Flächenbrand aus: Der von der internationalen Gemeinschaft angepeilte Kompromiss zwischen Regierung und Opposition ist ebenso ungewiss wie die Entsendung einer Friedenstruppe, auf die, wie bei einer Kneipenschlägerei, die Streithähne gemeinsam losgehen könnten. Nicht umsonst ist Haiti die Heimat des Hahnenkampfs.

Der Autor ist Schriftsteller und Publizist. Er hat mehrere Sachbücher über Haiti geschrieben sowie Romane, die in dem karibischen Staat spielen.

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