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Zu glauben, dass es am Sonntag vorrangig um Stephan Weil (rechts) oder David McAllister (links) geht, wäre naiv.

© dpa

Hannover – Berlin: Um die Ecke gewählt

Man muss die Wahl an diesem Sonntag in Niedersachsen nicht überhöhen, aber zu glauben, dass es vorrangig um David McAllister oder Stephan Weil geht, wäre naiv. Der Bund schaut mit Argusaugen zu. Doch am Sonntag ist nicht ganz klar, was Triumph und was Schmach ist.

In der „Schachnovelle“ von Stefan Zweig läuft der inhaftierte Dr. B. in seinem Zimmer auf und ab und spielt in Gedanken, um nicht verrückt zu werden, Schach gegen sich selbst. Damit ihn das wiederum nicht verrückt macht, spaltet er seine Person in ein „Ich Weiß“ und „Ich Schwarz“ auf. Trotzdem wird er langsam wahnsinnig. Verliert er nicht jede Partie, die er gewinnt? Verwandelt sich nicht jeder Triumph in eine Schmach?

Man muss die Wahl an diesem Sonntag in Niedersachsen nicht überhöhen, aber zu glauben, dass es vorrangig um David McAllister oder Stephan Weil geht, wäre naiv. Der Bund schaut mit Argusaugen zu. Ausreden, die um „landestypische Besonderheiten“ kreisen, gelten nicht. Doch auch über Hannover hinaus ist nicht ganz klar, was Triumph und was Schmach ist. Der erste Eindruck kann täuschen, ein früher Jubel in spätem Jammern enden. Die Lage ist etwas vertrackt.

Auf Bundesebene kann inzwischen jeder mit jedem. Mit Ausnahme von Linkspartei und Piraten, die in Zeiten von Euro- Krise, Antiterrorkampf und wachsender globaler Verantwortung Deutschlands koalitionsuntauglich sind, unterscheiden sich CDU, SPD, Grüne und FDP nur noch graduell, nicht mehr prinzipiell voneinander. Die Grünen haben Militärinterventionen geschluckt, die FDP Marktregulierungen und staatliche Investitionsprogramme, und in der Europapolitik überbieten sich alle mit dem Bekenntnis, dass eigentlich viel mehr Europa notwendig sei. Man traue keinen Treueschwüren. Die Verlockung der Machtteilhabe wiegt schwerer als eine vermeintliche Prinzipienfestigkeit, von der jeder weiß, wie flexibel sie ausgelegt werden kann.

Problem Nummer eins: Die Wahrscheinlichkeit, dass es im Herbst für Schwarz-Gelb oder Rot-Grün reicht, ist so minimal, dass es töricht wäre, die Wahlkampfstrategie ausschließlich daran auszurichten. Das könnte sich sogar rächen. Ein Beispiel: Für Peer Steinbrück ist die Ampel aus SPD, Grünen und FDP die einzige Option, Kanzler zu werden. Folglich ist die Möglichkeit dieser Ampel Angela Merkels schlimmster Albtraum. Am sichersten für sie wäre es, die FDP scheiterte an der Fünfprozenthürde. Andererseits muss sie so tun, als sei ihr am Wohle der Liberalen sehr gelegen.

Damit deutet sich das Problem Nummer zwei an: Im Swingerclub darf keiner die Wahrheit sagen. Die SPD muss so tun, als sei sie längst über die Agenda 2010 hinaus, die ihr Spitzenkandidat unverdrossen weiter verteidigt. Schwarze und Grüne dürfen nie mit einer Liaison liebäugeln, für die beide wie geschaffen scheinen, weil ihre Klientel sonst stinksauer würde. Die FDP muss den Partnertausch kategorisch ausschließen, obwohl ihr die duale Monogamie gewissermaßen in die Wiege gelegt wurde.

Problem Nummer drei: Die Hoffnung, dass Personalwechsel aus einer Malaise führen, hat sich verbraucht. Das gilt in erster Linie für SPD (Steinbrück) und FDP (Rösler). Falls diese Parteien in Hannover miserabel abschneiden, wird natürlich sofort die Führungsfrage gestellt. Aber gedämpft wird die spontane Wechselwut durch die rasche Einsicht: Manchmal verschlimmbessert sich ein Zustand durch Aktionismus. Denn wenn’s nun der oder die Neue auch nicht reißt, sind jene Restillusionen verschwunden, ohne die selbst Stammwähler ihre Gefolgschaft verweigern.

Dr. B. schwört am Ende, nie wieder Schach zu spielen, weil er dabei zu schnell denkt. Politiker, die zu schnell denken, gibt es kaum. Zum Glück. Sonst würden sie sich wohl selbst lähmen.

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