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Harald Martenstein.

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Harald Martenstein: Vom Mythos Demokratie

Man sagt, in der Demokratie entscheidet das Volk. Aber das ist, zumindest teilweise, ein Mythos. Wenn das deutsche Volk wirklich frei entscheiden dürfte, wäre vermutlich Günther Jauch Bundeskanzler.

Man sagt, in der Demokratie entscheidet das Volk. Aber das ist, zumindest teilweise, ein Mythos. Wenn das deutsche Volk wirklich frei entscheiden dürfte, wäre vermutlich Günther Jauch Bundeskanzler, falls er sich in der Stichwahl gegen Thomas Gottschalk durchsetzt, und Franz Beckenbauer wäre Präsident, weil Inge Meysel leider schon tot ist. In Wirklichkeit werden die politischen Funktionen von Parteibürokratien besetzt. Man muss sich im Apparat durchsetzen, wenn man auf dem richtigen Listenplatz steht oder einen sicheren Wahlkreis hat, ist die Sache so gut wie gelaufen. Natürlich sind Wahlen nicht völlig bedeutungslos, vor allem dann, wenn neue Strömungen wie die Grünen oder die Linken sich durchsetzen. Eine Castingshow wie „Deutschland sucht den Superstar“ ist aber bei Weitem demokratischer. Ich behaupte nicht, dass dies die bessere Lösung wäre. Ich sag’s ja bloß.

Horst Köhler ist Bundespräsident, weil Angela Merkel ihn dazu gemacht hat. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, ausgerechnet diesen fast unbekannten, etwas blassen Herrn Köhler zum Präsidenten zu machen, keiner, außer Angela Merkel, der er damals gut in den machtpolitischen Kram passte. Offenbar macht er den Job gut. Er hat ihn zufällig bekommen, und er macht das gut.

Was spricht eigentlich gegen die Monarchie? In der Monarchie entscheidet der Zufall der Geburt darüber, wer König wird. Es gab sehr gute, sehr schlechte und sehr viele mittelmäßige Könige, nun, so viel anders ist das Ergebnis in der Demokratie auch nicht. Prinz Charles, Beatrix oder Juan Carlos wären vermutlich keine schlechteren Bundeskanzler als Merkel oder Steinmeier. Der entscheidende Vorteil einer Demokratie besteht, in meinen Augen, nicht in der Tatsache, dass es Wahlen gibt, sondern im Vorhandensein von Grund- und Menschenrechten sowie in der Gewaltenteilung. Es gibt eine unabhängige Justiz, relativ freie Medien, die Macht der Obrigkeit ist nicht unbegrenzt, Exzesse der Mächtigen sind fast ausgeschlossen.

Eine Zeit lang sah es so aus, als ob am kommenden Wochenende das Los über den nächsten Bundespräsidenten entscheiden würde. Es werden nämlich manchmal ein paar Sitze in der Bundesversammlung ausgelost, das hängt mit den knappen Mehrheitsverhältnissen in einigen Landtagen zusammen. Ich fände das gut. Alle paar Jahre stellen die Parteien, die wichtigen Verbände, die Fernsehsender, die großen Zeitungen und so weiter Kandidaten auf, und der Präsident wird mit großem Brimborium ausgelost. Das Ergebnis wäre sicher okay, so, wie auch Horst Köhler oder Gesine Schwan okay sind. Soziologen sagen: Die Art, wie in einem sozialen System die Führungsfiguren herausgefiltert werden, ist nicht so wichtig. Wichtiger ist das System selbst.

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