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In der Kritik: Arbeitsministerin Ursula von der Leyen.

© dapd

Merkels Taktiker: Hartz-IV-Reform: Zynisches Kalkül

Nach dem Gefeilsche bei den Hartz-Verhandlungen stellt sich die Frage, wer in der Regierung überhaupt die Verantwortung trägt?

Die erste Reaktion ist: Zorn. Dann Ungläubigkeit. Mitten in der Nacht musste der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat unterbrochen werden, weil die Bundesarbeitsministerin nicht liefern konnte, was sie liefern musste. Sie musste das Geld für die Kommunen bei der anstehenden, zwischen Ministerpräsidenten der großen politischen Lager verabredeten Hartz-Regelung sichern und die zugleich in eine Rechtsform fassen. Beides gab es nicht. Warum nicht? Und warum fehlte das Geld in der Ausschussunterlage? Das Finanzministerium schwieg. Es war ja Nacht.

So weit zu gehen, dass hier jemand umnachtet gewesen sein muss, soll man natürlich nicht. Es geht doch nur um ein paar Millionen Menschen, denen es besser gehen könnte, wenn sich die Politik bald einigen würde. Und danach sah es aus, als die Bellheims der Politik, die Ministerpräsidenten Beck, Böhmer und Seehofer, das Thema übernahmen. Wochenlange Verhandlungen vorher hatten nichts gebracht.

Aber jetzt, wo eine Einigung zum Greifen nah zu sein scheint, wo seit Tagen klar ist, um was es geht, was zu leisten ist, politisch-handwerklich auch – in dem Moment versagt Bundesarbeitsministerin von der Leyen? Das ist kaum zu glauben.

Nein, besser: es ist kaum vorstellbar. Denn das wäre ein Ausmaß an Unfähigkeit gewesen, das im Grunde zu ihrer sofortigen Entlassung führen müsste. Die Dimension des Geschehens ist so groß. Wenn es aber nicht so war, wenn es keine politische Dummheit war und keine Unfähigkeit der Ministerin (dazu ihrer vielen Ministerialen, die das Thema Hartz seit Jahr und Tag rauf- und runterdeklinieren können) – dann muss es Vorsatz sein. Entweder, oder. Eines von beiden muss es sein.

So wie sich Leyen in zurückliegender Zeit verhalten hat, so wie sie überhaupt ist, versiert in Taktik und Kommunikation und gesegnet mit politischen Genen, kann man auf die Idee kommen, dass es Vorsatz war. Dass es einen Plan gibt. Der wäre wirklich herb. Danach würde Leyen eine politische Einigung hintertreiben, die der Bundeskanzlerin nicht lieb ist und dem Finanzminister zu teuer – wegen des schwierigen Koalitionspartners FDP und wegen des Haushalts, der nun doch nicht von einem Ex-Doktor im Selbstverteidigungsressort gesundgespart wird. Der CDU-Führung ist die Einigung nicht so wichtig, weil Hartz-Empfänger die Partei sowieso nicht wählen.

Das ist vorstellbar: Leyen stellte sich, wenn es so wäre, mit ihrem Verhalten stellvertretend für die ganze CDU in die Kritik, was ihr innerparteilich gewiss Pluspunkte brächte. Noch dazu, wo die Kanzlerin, die zugleich CDU-Chefin ist, und sie jüngst mehrmals über Kreuz lagen. Damit wäre das auch passé, weil Leyen machte, was Merkel nicht machen kann oder will – die Einigung noch länger aufzuhalten. Hinzu kommt, dass die Union, hier die CDU, nicht die CSU, deren Chef Seehofer eine Einigung will, auf diese Weise der SPD schadet.

Wenn nämlich keine Hartz-Regelung zustande käme, bliebe das im Superwahljahr besonders an der SPD hängen, weil die doch für die Hartz-Gesetze haftet. Die erbosten Wähler vom unteren Ende der Gesellschaft würden sich dann genau nicht den Sozialdemokraten zuwenden, sondern gleich der Linken, die viel härter und radikaler an das Thema Hartz herangegangen ist. Die CDU kann sich da ohnehin weniger ausrechnen.

Wer würde dann also geschwächt, beziehungsweise, wer könnte nicht von der Unzufriedenheit profitieren? Die SPD. Sie würde verlieren, so oder so, Prozentpunkte und ihre Rolle als bester Sachwalter der Ärmeren. Höchstens, dass sie auf niedrigem Stimmenniveau stagniert. Damit aber fiele sie als Konkurrentin der CDU um einen Wahlsieg zumindest im Bund in der öffentlichen Wahrnehmung wieder zurück.

Das ist kaum zu glauben? Nun, wenn es so nicht war, wenn dieses geradezu zynische Kalkül nicht dahinter steht – dann muss es Unfähigkeit gewesen sein. Und die Bundesarbeitsministerin trägt die Verantwortung. Allerdings: Wer tut das schon in dieser Regierung.

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