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Wenn der Lohn trotz Vollzeitjob nicht ausreicht, bleibt oft nur der Weg zur Arbeitsagentur.

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Hartz IV und die Statistik: Die fragwürdige Begründung des Mindestlohns

Eine neue Statistik zeigt, dass es weniger Aufstocker bei Hartz IV gibt als gedacht. Das stellt die gesamte Begründung des Mindestlohns infrage: Vor allem Alleinverdiener mit Kindern müssen aufstocken - die Lösung dieses Problems aber ist nicht Aufgabe von Arbeitgebern.

Die Bundesagentur für Arbeit musste in der vergangenen Woche ihre Statistik korrigieren: Die Zahl der Hartz-IV-Aufstocker, die Vollzeit arbeiten und trotzdem staatliche Unterstützung brauchen, ist viel niedriger als bisher gedacht. Für Arbeitsministerin Andrea Nahles ist es nur eine unbedeutende Randnotiz. Doch hier geht es um mehr als nur um einen Rechenfehler. Es geht um eine moralisch aufgeheizte politische Debatte, der nun der Boden entzogen worden ist. Es geht um die wichtigste Begründung für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, wie ihn die große Koalition durchsetzen will.

Wer in Deutschland eine volle Stelle habe und von seiner Hände Arbeit nicht leben könne, sei ein Opfer von Ausbeutung und skrupellosen Unternehmern. So haben sowohl die SPD als auch die CDU begründet, dass auch Deutschland einen Mindestlohn braucht. Immer mehr Beschäftigte würden in diese prekären Arbeitsverhältnisse gezwungen, hieß es. Deshalb müsse jetzt dringend politisch gehandelt werden, ein Mindestlohn sollte die Schutzmauer gegen Lohndumping werden.

Jetzt aber weiß man: Nicht 334.000, sondern 218.000 Vollzeitbeschäftigte stocken auf. Die meisten von ihnen sind dazu noch Alleinverdiener in Familien mit Kindern. Ihnen wäre auch mit Stundenlöhnen von acht, zehn oder zwölf Euro nicht geholfen. Sich um diese Gruppen zu kümmern, ist zu Recht eine Aufgabe der Allgemeinheit, nicht der Arbeitgeber. In keinem marktwirtschaftlichen System der Welt lässt man Arbeitgeber für die persönlichen Familienverhältnisse der Beschäftigten haften. Zumal sich an der Bedürftigkeit dieser Familien auch kaum etwas ändern würde, wenn es den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn schon gäbe.

Unbestreitbar ist in Deutschland in den vergangenen Jahren das Lohnniveau in den unteren Verdienstgruppen gesunken. Unbestreitbar gibt es Missbrauch, unbestreitbar gibt es auch heute alleinstehende Aufstocker mit Vollzeitarbeitsplätzen. Unbestreitbar liegt hier eine politische Aufgabe. Und man kann der Auffassung sein, dass ein Mindestlohn der beste Weg ist, diese Aufgabe zu lösen.

Der Mindestlohn wird wohl Arbeitsplätze kosten

Nur: Diese Aufgabe ist kleiner als gedacht. Wäre das bekannt gewesen, wäre dann eine so aufgeheizte Kampagne möglich gewesen? Hätte man sich tatsächlich auf einen der höchsten Mindestlöhne weltweit verständigt, der voraussichtlich Arbeitsplätze kosten wird? Würde die SPD darauf beharren, das Mindestlohnkonzept ohne Ausnahmen für Jugendliche, Lehrlinge, Praktikanten, Langzeitarbeitslose oder Rentner durchzupauken und damit riskieren, dass diese Gruppen künftig zugunsten höherer Löhne auf Ausbildung verzichten – oder gar nicht arbeiten können? Sähe die geplante Lohnfindungskommission aus Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden und ein paar beratenden Experten tatsächlich aus wie eine Truppe von Alkoholikern, die auf einem Weinfest den maßvollen Umgang mit Vergorenem durchsetzen soll?

Wahrscheinlich nicht. Denn vernünftige Einwände und Bedenken gegen das Projekt Mindestlohn wären gehört und diskutiert worden, anstatt als Auswüchse finstersten Ausbeutertums diskreditiert zu werden. So ist am Ende der Woche nicht ein kleiner Fehler in der Statistik zu beklagen, wie Arbeitsministerin Nahles glauben machen will. Sondern eine absehbar schlechte Lösung für einen gesetzlichen Mindestlohn, die voraussichtlich Arbeitsplätze kostet.

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