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Meinung: Hat das viele Reisen der EU-Parlamentarier Sinn?

„Zentralisiert wird noch früh genug“ vom 22. November Die Autorin legte zu den turnusmäßigen Reisen der Europaabgeordneten nach Straßburg dar, dass diese Praxis im Jahr 204 Millionen Euro kostet und die Umwelt mit 19 000 Tonnen CO2 belaste.

„Zentralisiert wird noch früh genug“

vom 22. November

Die Autorin legte zu den turnusmäßigen Reisen der Europaabgeordneten nach Straßburg dar, dass diese Praxis im Jahr 204 Millionen Euro kostet und die Umwelt mit 19 000 Tonnen CO2 belaste. Dennoch kommt sie wenig später zu dem Schluss, dass dieser Reisezirkus „charmant“ und beizubehalten sei, unter anderem, weil aus Straßburg viele Europa-Enthusiasten kämen und diese Stadt in der Nähe der Schweiz im Dreiländereck liege. Meiner Meinung nach sind jedoch unsere Finanz- und Umweltprobleme so drängend, dass wir von der Historie Abschied nehmen und uns für ein umweltfreundliches und finanziell tragbares Europa entscheiden sollten. Überall drückt finanziell der Schuh, in Berlin können vielerorts nicht einmal die maroden Straßen saniert werden. Permanent werden EU-Länder von der Kommission verstärkt zum Sparen aufgefordert. Sollten die Institutionen da nicht endlich selbst mit gutem Beispiel vorangehen?

Susanne Daus, Berlin-Prenzlauer Berg

Ich gehöre zu den ganz wenigen Franzosen, die laut sagen, was viele denken: Wozu die Sitzungen des Europaparlaments in Straßburg, mit den monatlichen komplizierten, teuren Umzügen aus und nach Brüssel? Die Argumente von Juliane Schäuble überzeugen mich wirklich nicht. Straßburg als notwendiges Symbol der deutsch-

französischen Versöhnung ? Erstens mag das „Paar“ Deutschland-Frankreich für die 26 anderen als gutes Beispiel dastehen, aber politisch und auch geistig bedeutet das Paar für einen Litauer oder einen Spanier wenig. Zweitens bedarf es kaum noch der Symbole, wenn doch andere Gegebenheiten nicht dem Erhofften oder dem Verkündeten entsprechen. Die französische Regierung sollte die bilingualen Grundschulklassen im Elsass besser unterstützen. Und anstatt horrende Summen für die Erinnerungsveranstaltungen, Ausstellungen und anderes mehr zum Krieg 1914/18 auszugeben, der doch einen gegenseitigen Massenmord bedeutet, sollte sie keine französischen Konsulate und Kulturinstitute in Deutschland schließen und darauf verzichten, das Maison de France in Berlin zu verkaufen.

Symbol Straßburg? Das Deutsch-Französische Jugendwerk ist kein Symbol, sondern, besser!, ein echter Beitrag zur Konsolidierung des „Paars“. Darüber hinaus hat Straßburg wenig getan, um dem Parlament Bequemlichkeiten zu verschaffen. Der Flughafen bleibt unbedeutend. Aus den meisten Ländern der Europäischen Union kann man nicht nach Straßburg fliegen. Die Lufthansa überlässt die Strecke Frankfurt–Straßburg einem Bus-Service. Also alles in Brüssel ? Natürlich ist es schade, dass die Hauptstadt der Union inmitten eines Landes steht, das als Einheitsstaat kaum noch besteht. Aber ein Parlament, das ganz in Brüssel zu Hause ist, würde vielleicht besser anerkannt, als es heute ist. Wenn man seine Befugnisse und sein Wirken endlich würdigen würde, dann könnte man in Berlin und Paris nicht mehr ständig sagen: „Alles Böse kommt aus Brüssel, alles Gute wird bei uns gemacht.“ Dies mit Blick auf die Kommission, die doch dem Rat, das heißt den Staaten untergeordnet ist. Sollte, was ich persönlich hoffe, der energische Präsident des Parlaments, Martin Schulz, Präsident der Kommission werden, dann wäre nur zu fürchten, dass dem Rollenwechsel ein Gesinnungswechsel entspräche und er das Parlament gerne beiseite schieben würde.

Aber was soll dann mit dem großen Gebäude in Straßburg geschehen? Welche Entschädigung für die Stadt und für Frankreich ? Der von mir verehrte Bronislaw Geremek, leider 2008 zu früh verstorben, hatte einen guten Vorschlag gemacht: Der Palast sollte eine große, echte europäische Universität beherbergen. Manche Hochschulen schmücken sich mit dem Wort Europa, aber eine von den 28 Ländern getragene gemeinsame Uni gibt es nicht.

Ein anderer Vorschlag ist im Kern komplizierter. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist in Straßburg angesiedelt. Er hängt allerdings nicht von der Europäischen Union ab, sondern vom Europarat, mit seinen 47 Mitgliedsstaaten, darunter die 28 der EU. Wäre es nicht sinnvoll, in Straßburg alles zusammenzuführen, was eben gerade in diesem erweiterten Europa mit den Menschenrechten und ihrer Verwirklichung zu tun hat? Allerdings würde sich manche, an erster Stelle das deutsche Bundesverfassungsgericht, dagegen sträuben. Lebt es doch in einer ständigen Furcht, durch übergeordnete Institutionen herabgesetzt zu werden, so wie die Bundesbank der Europäischen Zentralbank bereits untergeordnet wurde. Die Furcht gilt dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg und auch dem Straßburger Menschenrechtsgericht.

Die ganze Diskussion ist leider unaktuell, denn ein französisches Veto ist sicher, und eine Entscheidung müsste einstimmig gefasst werden. Vielleicht könnte sie nach den Europawahlen wieder beginnen, wenn das neue EU-Parlament eine beinahe einstimmige, mächtige Stimme erheben würde. Dazu gehört eine echte, aufklärende Wahlkampagne. Leider steht derlei weder in Frankreich noch in Deutschland vor der Tür.

— Alfred Grosser ist Publizist und lebt in Paris

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