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Hatice Akyün ist Autorin und freie Journalistin. Sie ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause.

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Hatice Akyün über Steueroasen: Deutschlands Schattenreiche wollen für nichts bezahlen

Der Konsens, nicht zu betrügen, wird schon lange von unseren sogenannten Eliten unterlaufen: Mal einen privaten Bewirtungsbeleg bei der Steuer einreichen, ist die eine Sache. Das, was in diesem Land ungeahndet abläuft, aber eine andere.

Neid ist eine Eigenschaft, die mir weitgehend fremd ist. Gut, ich kann mich schon über mich selbst ärgern, wenn ich eine Chance, eine Möglichkeit oder ein Angebot nicht angenommen habe und zusehen muss, wie nun jemand anderes damit erfolgreich ist. Eigentlich bin ich ganz einfach gestrickt, als Bürgerin meine ich.

Zurzeit kämpfe ich mit meinem Schuhkarton, in dem sich die Belege für meine Steuererklärung befinden. Sensationell finde ich nach wie vor, dass ich wie aus dem Ei gepellt zu meinen Lesungen erscheinen soll, aber nichts davon steuerlich geltend machen kann. Ich muss für mein Einkommen alles lesen, wissen, anwesend sein und mir permanent meine Präsenz erarbeiten, die Steuerverwaltung hält das jedoch für mein Privatvergnügen. Doch um hier mal eine Lanze für die Mitarbeiter des Finanzamtes zu brechen: Ich komme ganz gut damit zurecht, wie ich meinen Beitrag für das Gemeinwesen abzuführen habe.

Davon abgesehen, dass ich die halbe Million für mein Greisenalter nicht zurücklegen kann, weil die Pressebranche eher abwickelt statt aufbaut, gehe ich wie alle abhängig Beschäftigten davon aus, dass mein Staat für mich nur so gut sein kann, wie ich es ihm über Steuerzahlungen ermögliche.

Der Konsens, nicht zu betrügen, wird schon lange von unseren sogenannten Eliten unterlaufen. Ganz legal verabschieden sich Formel-1-Piloten, Fernsehstars, Wirtschaftsbosse und Konzerne aus ihrer Verpflichtung. Und die Konsequenz? Keine! Millionen Fernsehzuschauer schalten trotzdem ein, wenn Steuerflüchtlinge im Kreis herumfahren. Es hat mich deshalb auch nicht gewundert, dass jene, denen es sehr, sehr gut geht, ihren Reichtum an den Staaten vorbei in Steueroasen versteckt haben. Geld, mit dem sie nichts anzufangen wissen, aber das sie für jede Menge Geld über Tochterfirmen, Subunternehmen, Scheinstiftungen verschwinden lassen. Dafür zahlen sie Anwälte, Berater, Banken – nur nicht an den Staat, der ihnen auch ermöglicht hat, diese Schattengelder zu erwirtschaften. Angeblich sollen hunderttausend Deutsche in den Steuerskandal verwickelt sein.

Asozial sind nicht die, die um ihr Überleben kämpfen, sondern jene, die Infrastruktur, Oper, Theater und Bildung für lau nutzen, aber nichts dafür bezahlen wollen. Früher wurden Straßen über Zölle finanziert. Der, der Nutzen davon hatte, zahlte, um seinen Nutzen zu maximieren, den er ohne eine Straße nicht hätte haben können. Wenn nun FDP-Chef Philipp Rösler gegen die Steuerflüchtlinge vorgehen will, fühle ich mich – verzeihen Sie die drastische Wortwahl – verarscht. Diese Staatsabschaffer-Partei, diese Mietmäuler des Lobbyismus als Speerspitze gegen Steuerhinterziehung?

Es gibt Leute, die hier leben, die von diesem Land profitieren und nicht bereit sind, dafür ihren Beitrag zu leisten. Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein, steht im Johannes-Evangelium. Mal einen privaten Bewirtungsbeleg bei der Steuer einreichen, ist die eine Sache, das, was in diesem Land ungeahndet abläuft, eine andere. Oder wie mein Vater sagen würde: „Evi ev eden avrat, yurdu sen eden devlet“ – Das Haus gestaltet die Ehefrau schön, die Heimat der Staat.

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