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Meinung: Heimatloser Tod

Von Pascale Hugues, Le Point

Es war ein schöner Tod! Meine Ururgroßmutter Augusta trank ein kleines Glas Cognac, wünschte ihrer im Wohnzimmer versammelten Familie eine gute Nacht und ging schlafen. Am nächsten Morgen wachte sie nicht mehr auf. Unter dem frischen Laken ihres geräumigen Ehebetts hatte ihr Herz sanft zu schlagen aufgehört. Die gedämpfte Unterhaltung ihrer Töchter im Nebenzimmer hatte sie in den Tod gewiegt, Zug um Zug war die Wärme aus ihrem alten, verbrauchten Körper gewichen. Augusta, 94 Jahre alt, starb nach einem erfüllten Leben inmitten ihrer Nächsten, in dem Haus, in dem sie geheiratet, in der kleinen Stadt, in der sie ihr ganzes Leben verbracht hatte. Drei Tage lang hielt die Familie an ihrem Leichnam Totenwache, der Maiglöckchenduft ihres Parfüms hing noch einige Wochen im Raum. Augusta ruht friedlich auf einem Friedhof am Stadtrand, die Familiengruft beherbergt Dynastien von Großonkeln mit klangvollen Vornamen. Augusta liegt dort an der Seite ihrer Eltern, ihres Mannes und ihrer Kinder. Eine alte, unverheiratete Tante goss über Jahre hinweg dreimal in der Woche die Blumen auf ihrem Grab. Es war eine Zeit, in der Tote noch eine Heimat hatten.

Es war ein seltsamer Tod in einem seltsamen Krieg! Nach der Schlacht von Chemin de Dames wurde mein Großonkel Louis vermisst gemeldet. Er war 22 Jahre alt und kämpfte nur wenige Kilometer entfernt von seiner kleinen Heimatstadt, die er zum ersten Mal verlassen hatte, um in den Krieg zu ziehen, ein munteres Liedchen auf den Lippen. Seine Mutter erhielt später ein kleines Paket, in dem seine Zivilkleidung verstaut war, außerdem ein Bündel Briefe, zwei Bücher und ein paar Fotos von der Garnison – kleine, heilige Gegenstände, die Louis’ Mutter in einem Karton in ihrem Wäscheschrank aufbewahrte. Seine Leiche, zerfetzt von einer Granate, wurde nie nach Hause gebracht. Louis’ Name wurde auf dem städtischen Kriegerdenkmal eingraviert, unter vielen anderen Vermissten, die ihr Leben auf dem Feld der Ehre ließen.

Tausende von Europäern, die in Asien vermisst werden, starben am Ende der Welt. Sie starben in einem Touristenparadies, gefangen in einem überfluteten Bungalow oder hinweggespült von einer Riesenwelle, gestorben an einem sonnendurchtränkten, feinkörnigen Sandstrand, tausende Kilometer entfernt von ihren wintergrauen Heimatländern. Sie starben, ohne eine Spur zu hinterlassen. Die meisten von ihnen haben vermutlich nicht einmal begriffen, was mit ihnen geschah. Ein plötzlicher Tod, effektiv, brutal, verschwommen und beängstigend. Zu früh. Zu unerwartet. Zu absurd. Allein die verwackelten Amateurvideos im Fernsehen vermitteln eine Vorstellung von den Umständen ihres Todes. Erdbebenexperten bemühen sich ungeschickt, den Schrecken zu rationalisieren. Wie sollen diese Toten in Frieden ruhen, fernab ihrer Heimat, inmitten eines wahnsinnig gewordenen Meeres? Vielleicht erhalten die trauernden Familien eines Tages einen Reisepass, einen Koffer, ein paar lächerliche Habseligkeiten, die dem Vermissten gehörten und von den wirbelnden Wassermassen verschont wurden. Vielleicht ermöglicht es eine DNA-Analyse, den Fetzen eines unkenntlichen Körpers einen Namen zu verleihen. Vielleicht aber auch nichts von all dem. Nicht einmal die Sicherheit, dass der geliebte Mensch wirklich tot ist, so dass die immerwährende, quälende Hoffnung bleibt, er könnte eines Tages wiederkommen. Ein heimatloser Tod, ohne Leiche, ohne Sarg, ohne Abschied, ohne Grab am Rande der Heimatstadt, ohne die ewige Gesellschaft von Großonkeln mit klangvollen Namen. Ein schrecklicher Tod!

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