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Meinung: Hilfe vom Erzfeind

Die Reformer in Teheran hoffen auf einen demokratischen Irak

Die mächtigen iranischen Ajatollahs sind nervös. Einer aus ihrem Führungszirkel rief dieser Tage die schiitischen Iraker gar zu Selbstmordanschlägen gegen US-Soldaten auf. Der Kampf um die Zukunft im Nachbarland Irak ist voll entbrannt. Und wie immer er ausgeht, er wird auch den Iran verändern.

Denn das Land, das sich nach außen so unerschütterlich islamistisch gibt, ist in Wirklichkeit innerlich tief gespalten – überspitzt gesagt: ein schiitischer Gottesstaat mit Amerika als heimlichem Vorbild. Kaum ein jungen Iraner, der nicht eine CD-Kollektion westlicher Popstars zu Hause hätte. Mit den Mullahs und ihren Moralpredigten hat der Nachwuchs schon lang nichts mehr am Hut. Stattdessen lernt er eifrig Englisch in einer der vielen Privatschulen und träumt von einem Einwanderungsvisum in die Neue Welt.

Iran ist beides: ein säkulares Land mit vielen gut gebildeten, modern denkenden Bewohnern und eine gefährlich rückständige Theokratie, von der schiitischen Geistlichkeit durch religiöse Milizen und Justiz in Schach gehalten. Die innere Legitimität des Mullah-Regimes ist nach 25 Jahren geistlicher Diktatur aufgezehrt. Die Bevölkerung, vor allem die Frauen, hat die Nase voll von der frommen Gängelei. Und trotzdem gelingt es den demokratisch gewählten Reformern nicht, gegenüber der Geistlichkeit die Oberhand zu gewinnen.

Denn die Macht der Ajatollahs steht per Verfassung außerhalb der Kontrolle des demokratisch gewählten Präsidenten, der Regierung und des Parlaments. Über ihre reichen religiösen Stiftungen finanzieren die schiitischen Revolutionswächter islamistische Terroristen. Ihre Milizen und Revolutionsgerichte verbreiten Angst und Schrecken. Diese geistliche Neben-Exekutive und Neben-Justiz machen alle Initiativen der Reformer bislang zunichte, im Iran Rechtssicherheit und Schutz vor staatlicher Willkür durchzusetzen.

Das könnte bald anders werden. Und zwar ausgerechnet mit Hilfe des Erzfeinds, des langjährigen Kriegsgegners und des Hüters höchster schiitischer Heiligtümer, des Nachbarn Irak. Im Kampf um die Macht setzt die iranische Geistlichkeit auf die enge gemeinsame Geschichte mit den irakischen Schiiten. Ajatollah Khomeini lebte 14 Jahre lang im irakischen Exil in Nadschaf. Von hier aus bereitete er den Aufstand gegen den Schah vor und schickte seine Reden per Tonband an seine Landsleute. Der gefürchtete geistliche Justizchef im Iran wiederum ist ein gebürtiger Iraker.

Die Reformer in Teheran dagegen fordern freie Wahlen. Da 60 Prozent der Iraker Schiiten sind, hoffen sie auf einen demokratischen Irak mit schiitischer Dominanz – allerdings ohne amerikanische Einmischung oder Hegemonie.

Schließlich haben beide Staaten, Iran und Irak, die Alliierten in früheren Zeiten keineswegs als uneigennützige Paten echter Demokratie erlebt, sondern als rücksichtslose Kolonialmächte. Großbritannien und den USA war jedes Mittel recht, das Öl und die Bodenschätze dieser reich gesegneten Regionen billig außer Landes zu schaffen. Während der ersten zwanzig Jahre irakischer Unabhängigkeit war der britische Botschafter der eigentliche starke Mann in Bagdad. Der 1953 vom CIA organisierte Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mossadegh, der die Ölindustrie verstaatlichen wollte, ist jedem gebildeten Iraner heute noch geläufig. Denn danach kamen die Diktaturen, erst der Schah und dann die Mullahs.

Der Wunsch nach nationaler Selbstbestimmung war eine der Haupttriebfedern der islamischen Khomeini-Revolution 1979. Und sie bleibt ein zentraler Faktor im politischen Denken dieser Region. Darum könnte eine längere amerikanische Präsenz – wie seinerzeit die Iraner – auch die Iraker radikalisieren und den Mullahs in die Arme treiben. Schon jetzt hofft die iranische Geistlichkeit ganz unverhohlen darauf, die Ablehnung der US-Truppen instrumentalisieren zu können zur Gründung eines zweiten Gottesstaates in der Region. Für die Reformer in Teheran wäre das ein verheerender Rückschlag. Sie setzen auf die Entwicklung einer offenen Gesellschaft. Denn sollte es gelingen, im Irak eine stabile Ordnung zu schaffen, die freiheitlich, selbstbestimmt und gleichzeitig religiös tolerant ist, wird es möglicherweise bald überhaupt keine islamische Theokratie mehr geben – auch nicht im Iran.

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