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Meinung: Hilflose Junkies

Deutschland braucht Russlands Gas – und zahlt dafür einen hohen Preis

Er sitzt im Kreml und freut sich. Jahr für Jahr wird sein Imperium mächtiger. Europa liegt ihm zu Füßen. Die Kritik ist daher verstummt. Stattdessen hagelt es Lobhudeleien. Denn wer abhängig ist, wehrlos am Energietropf hängt, kann sich honorige Prinzipien nicht leisten, sondern muss kuschen. Auf geradezu unheimliche Weise ist Russlands Präsident Wladimir Putin unantastbar geworden. Es ist die Unantastbarkeit des Dealers, der den Stoff hat, nach dem der Junkie giert.

Das wird auch Angela Merkel spüren, die in dieser Woche in die sibirische Provinzstadt Tomsk fliegt, zu den achten deutsch-russischen Regierungskonsultationen. Selten zuvor war Deutschland so abhängig von Russland wie heute – und daher so erpressbar. Das ist auch ein Erbe rot-grüner Energiepolitik. Man wollte vor allem sicher, sauber und billig sein. Doch das kostete die Moral.

Inzwischen bezieht Deutschland aus Russland 44 Prozent seines Gas- und 33 Prozent seines Ölbedarfs. Tendenz, insbesondere im Gasbereich, stark steigend. Die geplante Direktpipeline wird die Importquote weiter erhöhen. Außerdem ist Gas weitaus umweltverträglicher als Öl. Aus den 44 könnten bald 70 Prozent werden. Die Einnahmen aus diesen Energielieferungen wiederum sind die Stütze der russischen Wirtschaft. Dank der hohen Rohstoffpreise erzielt der russische Staatshaushalt einen stetig wachsenden Überschuss. Unser Öl- und Gashunger nährt die Machthaber in Moskau.

Das erklärt, warum Putin innen- und außenpolitisch immer dreister agieren kann. Die Medien des Landes kontrolliert er fest. Das staatliche Energieunternehmen Gasprom ist Mehrheitseigner bei den Fernsehkanälen NTW, TNT, dem Kabelsender NTW-Plus, den Radiosendern Echo Moskwy, Troika, Next und etlichen Zeitungen. Für die Organisation Reporter ohne Grenzen ist Russland in Sachen Medienfreiheit auf Platz 148 unter 166 Ländern abgerutscht. Im Vergleich zu Putin ist Berlusconi ein liberaler Demokrat.

Früher konnte Moskau mit Raketen drohen, heute hat es mit seinen Rohstoffen eine ebenso starke Waffe. Ob Tschetschenienkrieg, die Unterstützung ukrainischer und weißrussischer Diktatoren, Hamas- und Irankumpanei: Ein lautes Nein schallt Putin weder aus Berlin noch aus Brüssel entgegen. Denn die Junkiegemeinde aus Verbrauchern, Ökologen und Pragmatikern ist groß. Mehr als elf Prozent der deutschen Stromerzeugung werden bereits aus Erdgas gewonnen. Falls es nicht gelingt, den Ausstieg aus der Atomenergie bis 2020 durch regenerative Energien zu kompensieren, dürfte auch dieser Wert steigen. Es ist grotesk: Ausgerechnet zum Jahrestag von Tschernobyl wird sich Putin angesichts des deutschen Atomausstiegs womöglich ganz vergnügt die Hände reiben.

So hängt manches mit manchem zusammen. Im April demonstrierten in Moskau mehrere tausend Menschen gegen die allgegenwärtige Zensur. Anlass war der fünfte Jahrestag der handstreichartigen Übernahme des TV-Senders NTW durch Gasprom. Dieser Tage droht Gasprom-Chef Alexej Miller den Europäern mit Konsequenzen, falls das Unternehmen nicht auch in Europa ungestört expandieren darf. Man wird es ihn machen lassen. Russisches Gas mag sicher, sauber und billig sein. Der Preis dafür ist trotzdem hoch.

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