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Kontrapunkt: Hinter Westerwelle lauert die Leere

Die große Welle des Zeitgeistes, der die Westerwelle-FDP einst getragen hat, war mit der Finanzkrise schon gebrochen. Dass der jungen Garde nun nur ein trotziges "Jetzt erst recht" einfällt, bringt die Krise der FDP auf den Punkt.

Wenn er nicht - was eine gewaltige Überraschung wäre - einfach zurücktritt, wird Guido Westerwelle auch nach dem morgigen Dreikönigstreffen FDP-Chef sein. Die Personaldebatte um den Parteivorsitz ist damit natürlich nicht beendet. Ob Westerwelle gehen muss oder bleibt, darüber entscheidet nicht die Rede, die er am Donnerstag in Stuttgart hält, sondern im März der Ausgang der Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und, mehr noch, in Baden-Württemberg. Scheitert dort die schwarz-gelbe Koalition oder die FDP gar an den fünf Prozent, wird Westerwelle sich nicht halten können.

Bleibt jedoch die schwarz-gelbe Regierung im FDP-Stammland - wer weiß, was dann aus Westerwelle wird. Seine Zeit ist, salopp gesagt, vorbei. Doch dahinter lauert die Leere. Das jedenfalls hat das Gerangel im Vorfeld von Stuttgart erst richtig bloßgelegt. Die liberale Partei und ihre Spitzenleute sind ihrer selbst so unsicher, dass niemand, nicht die Alten, nicht die Jungen, die Kraft zu einem der Machtkämpfe hat, die in der FDP doch üblich sind. Westerwelles Vorgänger Klaus Kinkel und Wolfgang Gerhard sind auf offener Bühne gemeuchelt worden, letzterer übrigens von Westerwelle selbst.

Guido Westerwelle allerdings war damals der Erneuerer seiner Partei, die nach endloser babylonischer Gefangenschaft in der Koalition mit Helmut Kohl jede Ausstrahlung und eine Landtagswahl nach der anderen verloren hat. Mit den Wiesbadener Grundsätzen hatte er schon als Generalsekretär eine Erneuerung eingeleitet, die auf der Höhe jener Zeit war. Rings um Deutschland herum wurden damals die Arbeits- und Sozialordnungen dereguliert, mit Helmut Kohl und Norbert Blüm aber war kein Thatcherismus zu machen. Westerwelles FDP hatte sich zur lautstarken Avantgarde des neoliberalen Zeitgeistes aufgebaut, neben den von ihm als sozialdemokratisch verspotteten Volksparteien CDU, CSU und SPD, als Rot-Grün an die Regierungsmacht kam und Westerwelle Oppositionsführer wurde. Die FDP war die Partei eines radikalen Wirtschaftsliberalismus, der den Bürgerrechts- und sozialen Liberalismus zwar ordentlich ins Programm geschrieben, aber praktisch ins Kleingedruckte verbannt hat.

Diese Jahre machen Westerwelles politische Biografie aus. Er hat in der Gesellschaft und für die FDP die Menschen gewonnen, die mit selbstbewusstem Leistungswillen "Privat vor den Staat" gestellt sehen wollen. Auf der Fahne der FDP stand die Freiheit der Märkte, die neuen Chancen der Globalisierung. Die erste Desillusionierung - der Zusammenbruch der New Economy - wurde leicht ausgehalten, weil die Verlierer dieser Jahre durch die Gewinnerhoffungen der nächsten spielend ausgeglichen werden konnten. Für eine bestimmte soziale Schicht wurde diese FDP attraktiv und umso mehr, weil ein zusehends überforderter Sozialstaat tatsächlich wie ein teurer Schwächling aussah. Auch Hartz IV wurde ein teures Missvergnügen, das die SPD zerrieb, aber nicht nur die Linkspartei, sondern auch die FDP stärkte. Zweimal hat Westerwelle die Chancen dieser Zeit bis zum Äußersten gereizt. Zum ersten Mal, als er 2002 der Versuchung von Jürgen Möllemanns Projekt 18 und der Kanzlerkandidatur gefolgt ist. Zum zweiten Mal, als er 2008 und 2009 alles auf eine, die schwarz-gelbe Steuersenkungskarte gesetzt hat.

Die sensationellen 14,6 Prozent der Bundestagswahl allerdings beruhten auf einer deutschen Sondersituation, der großen Koalition. Die große Welle des Zeitgeistes, der die Westerwelle-FDP getragen hat, aber war mit der Finanzkrise schon gebrochen. Im September 2009 konnte der schneidige Parteichef noch einmal alle einsammeln, die das vormals Geglaubte weiter glauben wollten. Doch diese Desillusionierung war hart: Das Steuersenkungsversprechen war nicht einzuhalten, nachdem der Staat mit Milliarden für die freiesten aller Marktakteure hatte garantieren müssen - und mit ihm eine FDP, die nun die Verantwortung für diesen Staat zu tragen hatte.

Die FDP hat aus der Weltfinanzkrise bisher nur gelernt, was sie schon vorher wusste, dass nämlich der (US-amerikanische) Staat zu vielen Bürgern zu große Häuser mit zu viel billigem Geld versprochen hat. Doch der globalisierte Kapitalismus fordert den Liberalismus ebenso grundsätzlich heraus wie CDU oder SPD. Wie reklamiert er denn das Primat der Politik gegenüber einer Finanzwirtschaft, die sich an Recht und die Regeln einer sozialen Marktwirtschaft nicht mehr halten muss? Wie die Kreditversorgung der Realwirtschaft, wie langfristige Unternehmerinteressen gegen kurzfristige Renditeziele, wie das Fundament an Bildung und Qualifikation moderner Volkswirtschaften?

Der politische Liberalismus muss gründlich nachdenken. Dass der jungen Garde um Daniel Bahr, Christian Lindner, Philipp Rösler nur ein trotziges "Jetzt erst recht" eingefallen ist, die Beschwörung eines neuen Grundsatzprogramms, das über die Formeln der Wiesbadener Grundsätze nicht hinauskommt, bringt die Krise der FDP auf den Punkt. Die 30- bis 40-Jährigen wollen festhalten, was sie als 20-Jährige zur FDP gezogen hat. Doch jede Zeit braucht ihre Antwort.

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