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Hort der Unruhe: Europa ist zum Krisenherd geworden

In Griechenland raufen sich Regierung und Opposition zusammen, um ein Einheits-Kabinett zu bilden. Doch der Schaden ist bereits angerichtet: Das Vertrauen der Welt in die Stabilität der Europäischen Union ist zutiefst erschüttert.

Nicht nur Banker, auch Politiker sind gelegentlich, was sie bei den Herren des Geldes offiziell so verabscheuen: Zocker. Anders ist nicht zu erklären, dass nun in Griechenland, im Moment des nahenden Staatsbankrotts und nach der Weigerung der Europäer, die nächsten Kreditraten auszuzahlen, Überfälliges geschieht. Die Zockerei ist am Ende. Regierung und Opposition reden miteinander, statt sich in sinnentleerten Debatten weiter zu entzweien. Es kracht zwar noch heftig zwischen Oppositionsführer Samaras und Papandreou auf dem Weg zur Regierung der nationalen Einheit. Aber dass die, falls überhaupt, lange vom jetzigen sozialistischen Regierungschef geführt würde, ist unwahrscheinlich. Mit seiner Idee des dem Euro- Krisengipfel nachgelagerten Plebiszits hat er nicht nur die übrigen 16 Euro-Staaten gegen sich aufgebracht, sondern zudem die eigene Pasok-Partei gespalten.

Dieses Kabinett der nationalen Einheit könnte, weil es den in der Demokratie grundlegenden Gegensatz zwischen Regierung und Opposition vorübergehend aufhebt, so etwas wie den allgemeinen Volkswillen, eine Volonté Générale, artikulieren und Neuwahlen ansetzen. Sie machten das von Papandreou vorgeschlagene Plebiszit überflüssig – was er selbst erkannt hat – und schafften die Klarheit, die Europa braucht: Stehen die Griechen zu den Sparmaßnahmen, die für den Verbleib in der Euro-Zone zwingend geboten sind? Oder geben sie die Gemeinschaftswährung auf? Um nichts anderes ginge es letzten Endes. Das hatte schon Angela Merkel als einzigen Sinn einer Volksbefragung ausgemacht. Dass derzeit, wie die EU-Kommission belehrend feststellte, ein Ausscheiden aus der Euro-Zone nur in Verbindung mit dem Austritt aus der Europäischen Gemeinschaft möglich ist, hat den Wert einer Buchweisheit. Käme es dazu, würden die 16 Euro-Länder und Griechenland einen Weg finden, sich friedlich-schiedlich auseinanderzusetzen, ohne die Athener Delegierten und Beamten aus den Brüsseler Amtsstuben und Gremien vertreiben zu müssen.

Wie ernst die wirtschaftlichen Auswirkungen der politischen Hängepartie genommen werden, wie groß die Ansteckungsgefahr für andere Volkswirtschaften ist, zeigt die völlig überraschende Zinssenkung der Europäischen Zentralbank bei der ersten Sitzung unter ihrem neuen Chef, dem Italiener Draghi. Vielleicht hatte man dort die Warnung des IWF, des Internationalen Währungsfonds gehört, der die Krise im Euro- Raum als die momentan größte Gefahr für die globale Ökonomie einstuft. Die realen Wirtschaftsdaten rechtfertigen die nochmalige Rücknahme des an sich schon extrem niedrigen Zinssatzes auf nun 1,25 Prozent Basispunkte jedenfalls nicht. Hier hat die Angst Regie geführt.

Angst ist es auch, die den G-20-Gipfel in Cannes beherrscht. Von der ursprünglichen Tagesordnung der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer ist nicht viel übrig geblieben. Braucht man Konjunkturprogramme für weltweites Wachstum oder spart man besser zur Konsolidierung der Staatsfinanzen? Muss man die Ungleichgewichte zwischen Ländern mit einer stark positiven Handelsbilanz und solchen mit weit mehr Ein- als Ausfuhren reduzieren? Vertagt. Jetzt lautet die Frage: Fängt sich Griechenland, wird schnell gewählt? Oder steckt die Krise dort nun noch die Finanzsysteme Portugals, Spaniens und Italiens an? Europa, mehr als ein Jahrzehnt lang Hort der Stabilität, ist zum Krisenherd geworden, auf den die Welt mit fassungslosem Staunen, Sorge und wachsender Ungeduld blickt.

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