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Meinung: „Ich bereue nichts“

Nationalisten in der Türkei haben die Schriftstellerin Elif Shafak zur Staatsfeindin ausgerufen. Sie sehen in ihrem Bestseller „Der Bastard von Istanbul“ ein armenisches Propagandawerk und wollen sie deshalb hinter Gitter bringen.

Nationalisten in der Türkei haben die Schriftstellerin Elif Shafak zur Staatsfeindin ausgerufen. Sie sehen in ihrem Bestseller „Der Bastard von Istanbul“ ein armenisches Propagandawerk und wollen sie deshalb hinter Gitter bringen. Am heutigen Donnerstag soll Shafak vor Gericht erscheinen, gewalttätige Proteste sind möglich.

„Ich bereue nichts“, sagt die 34-Jährige, die sich gleichzeitig bestürzt über die „Lynchkampagne“ der Nationalisten zeigt. Als weltgewandte Tochter einer türkischen Diplomatin, die in englischer Sprache schreibt, steht Shafak für all das, was die Nationalisten ablehnen: Weltoffenheit, Liberalität, kritisches Denken. Deshalb geht Elif Shafak davon aus, dass nicht sie persönlich das eigentliche Ziel der Nationalisten ist, sondern der Reformprozess in ihrem Land.

Shafak wurde 1971 in Straßburg geboren, verbrachte einen Teil ihrer Jugend in Spanien. Sie studierte in der Türkei Sozial- und Politikwissenschaften und veröffentlichte bereits mit 27 Jahren ihren ersten Roman, „Pinhan“. Inzwischen verbringt sie einen Teil ihrer Zeit in den USA, wo sie als Dozentin am Institut für Nahoststudien der University of Arizona unterrichtet.

In Shafaks „Der Bastard von Istanbul“ spricht eine der Romanfiguren über den Völkermord der Türken an den Armeniern – für den rechtsnationalistischen Anwalt Kemal Kerincsiz und die Staatsanwaltschaft in Istanbul stellt dies eine „Beleidigung des Türkentums“ dar, die mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden kann. Zum ersten Mal in der von Kerincsiz im vergangenen Jahr gestarteten Prozesswelle gegen Intellektuelle, Journalisten und Schriftsteller geht es nicht um die Äußerung einer wirklichen Person, sondern um eine Passage in einem Roman. Das ist eine neue Dimension.

„Das ist keine persönliche Sache“, sagt Shafak über ihren Prozess. Es gehe um das demokratische Gut der Meinungsfreiheit und um den türkischen Reformprozess. In diesem Jahr wurden schon Untersuchungen gegen 80 andere Intellektuelle wegen einer angeblichen „Beleidigung des Türkentums“ eingeleitet. In einem Fall liegt bisher ein höchstrichterliches Urteil vor – und das gab den Nationalisten recht.

Weil sie erst am vergangenen Wochenende eine Tochter zur Welt brachte, weiß Shafak nicht, ob ihr Arzt es erlauben wird, dass sie zur Prozesseröffnung kommt. Sollte sie kommen, werde sie wegen der Drohungen der Nationalisten bei der Polizei Personenschutz beantragen, sagt sie. Aus dem Weg gehen will sie der Auseinandersetzung mit ihren Gegnern aber nicht: Sie wolle zeigen, sagt Elif Shafak, dass die Rechtsnationalisten nur eine kleine Minderheit der türkischen Gesellschaft sind.

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