zum Hauptinhalt
Unser Kolumnist Matthias Kalle.

© Privat

Ich habe verstanden: Angeklagt wegen etwas Kleinerem

Matthias Kalle hat abgeschrieben. Während der Schulzeit, in Latein, Mathematik, Chemie, Physik und Biologie. Aber diesen Text über Karl-Theodor zu Guttenberg und Al Capone hat er ganz alleine geschrieben.

Ich mache es lieber öffentlich, bevor ich von einem Amt zurücktreten muss, das ich in Zukunft vielleicht einmal haben werde – ich bin ja noch jung, jünger zum Beispiel als Karl-Theodor zu Guttenberg.

Ich habe mein großes Latinum im Jahre 1992 zu großen Teilen meinem Freund und Mitschüler M. zu verdanken, dessen Nähe ich während des Unterrichts und den schriftlichen Prüfungen stets suchte und fand. Leistungen, die ich während meiner Schulzeit in den Fächern Mathematik, Chemie, Physik und Biologie erbrachte, können nicht eindeutig mir zugeschrieben werden. In diesem Zusammenhang lege ich allerdings wert auf die Feststellung, dass ich mir sämtliche Noten in meinen vier Abiturfächern selbst verdient habe, im guten, wie im schlechten.

Mit der Aushändigung meines Abiturs endete im Jahre 1994 nachweislich meine akademische Karriere. Obwohl ich für kurze Zeit an einer Universität eingeschrieben war und regelmäßig Seminare und Vorlesungen besuchte, kann ich keinen Abschluss vorweisen. Ich empfand und empfinde das nicht als Makel. Tatsächlich war mein Respekt vor akademischen Leistungen nie sonderlich ausgeprägt. So ahnte ich bereits als kleiner Junge, dass ein Arzt nicht zwangsläufig ein Doktor ist – und zum Entsetzen meiner Familie sprach ich unseren Hausarzt immer mit „Herr Meier“ an, niemals sagte ich zum ihm „Doktor Meier“. Und selbst wenn er eine Doktorarbeit geschrieben hätte – etwa über das Niesverhalten der Ostwestfalen nach 1945 unter besonderer Berücksichtigung des Wasserstraßenkreuzes -, es wäre mir wohl egal gewesen. Vielleicht weil ich damals ahnte, dass ein akademischer Grad nichts über den Intellekt, die Herzensbildung, das Können und die soziale Kompetenz eines Menschen aussagt. Während ich es damals ahnte, bin ich mir heute ziemlich sicher.

Ohne das ich es beweisen könnte, stelle ich mir vor, dass so eine Doktorarbeit vor allem darin besteht, Stoff zu sammeln und ihn logisch miteinander zu verknüpfen. Die Urherber des Stoffes, den man sammelt, muss man kenntlich machen – ein Vorgang, den ich zum Beispiel im Fach Latein nicht durchgeführt habe. Ich glaube auch, dass ein guter Arzt nicht zwangsläufig ein Doktor sein muss – und ein Doktor der Medizin kann ein furchtbar schlechter Arzt sein. Tatsächlich würde ich im Krankenhaus darauf bestehen, in keinem Fall von einem Doktor, einem Oberarzt oder einem Chefarzt behandelt zu werden. Im Krankenhaus brauche ich Hilfe, einen Praktiker, ich verlange immer noch dem Assistenzarzt, aber ich schweife ab.

Am Dienstag meldete die „Süddeutsche Zeitung“, dass mit Karl-Theodor zu Guttenbergs Doktorarbeit etwas nicht stimmen würde: vielleicht hat er abgeschrieben, vielleicht hat er nicht richtig zitiert, vielleicht hat er geschludert bei der Angabe von Quellen. Seit dieser Meldung durchsuchen Menschen diese Doktorarbeit, sie prüfen Seite um Seite und stellen die Ergebnisse ins Internet. Seit dieser Meldung hat jeder deutsche Politiker seine Meinung zu diesem Sachverhalt gesagt. Seit dieser Meldung wird das Vorgehen von Guttenberg ausgiebig kommentiert, außer von seiner Hauszeitung „Bild“, die sich lieber darüber Gedanken macht, ob der Volksmusikant Hansi Hinterseer zu Recht 7.000 Euro pro Auftritt verlangen kann.

Wahrscheinlich kann Hinterseer diese Summe verlangen – tatsächlich ist mir das ein bisschen egal. Weniger egal ist mir aber folgendes dann doch: Wieso sagt einer, der bereits während der drohenden Opel-Insolvenz angeblich seinen Rücktritt angeboten hat und dessen Unabhängigkeit als maßgebliche Charaktereigenschaft angeführt wird, weil diese Unabhängigkeit bedeuteten würde, dass er die Politik nicht brauche und das Geld auch nicht – wieso sagt so einer nicht: „Dümmer als ich mich, kann man sich gar nicht anstellen – und bevor es noch richtig peinlich wird, ziehe ich mich zurück.“? Hängt da am Ende einer doch zu sehr an seinem Amt und an den Aussichten, die diese politische Karriere noch mit sich bringen könnte? Anscheinend hängt Karl-Theodor zu Guttenberg ja auch sehr an Titeln.

Am Freitag sagte er in einem skandalösen Vorgang, dass er auf seinen Doktortitel vorübergehend verzichten wolle. Skandalös deshalb, weil er das vor ausgewählten Hauptstadtjournalisten tat, während die Mehrheit der Kollegen auf der Bundespressekonferenz abgespeist werden sollte. Würde es Kopfnoten geben, dann wäre das ein ungenügend im Betragen – da würde auch Schummeln nicht helfen.

Und obwohl es mir eigentlich egal ist, dass Guttenberg möglicherweise wissenschaftlich unsauber gearbeitet hat, denke ich seit Dienstag, seit ich in der „Süddeutschen Zeitung“ zum ersten Mal über die Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg las, an den Gangster Al Capone. Jahrelang haben die damals versucht, ihn wegen seiner Verbrechen in den Knast zu bringen – angeklagt wurde er dann schließlich wegen etwas anderem, scheinbar kleinerem, scheinbar nebensächlicheren: Al Capone wurde wegen Steuerhinterziehung in Höhe von 200.000 Dollar zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Wegen guter Führung kam er nach sieben Jahren frei.

Ich habe übrigens aus meinen Fehlern der Vergangenheit gelernt – folgende Quellen zog ich für das Verfassen dieses Textes zur Rate: „Tagesspiegel“, „Süddeutsche Zeitung“, „Bild“, „Spiegel-Online“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Wikipedia“. Ich habe diesen Text ganz alleine geschrieben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false