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Philipp Rösler.

© dpa

Ich habe verstanden: Ein Vize ist kein Stellvertreter

Philipp Rösler wird wohl bald nicht nur FDP-Vorsitzender, sondern auch Vizekanzler sein. Den Job gibt es zwar eigentlich gar nicht, aber manchmal sind es gerade die Nebendarsteller, die glänzen. Matthias Kalle ist allerdings nicht sicher, wie das bei Schwarz-Gelb aussieht.

Dass die Letzten irgendwann einmal die Ersten sein werden, das glauben manche spätestens seit es im Neuen Testament aufgeschrieben wurde. Unter Matthäus 19,30 steht: "Aber viele, die da sind die Ersten, werden die Letzten, und die Letzten werden die Ersten sein."

Vielleicht stimmt das - vielleicht stimmt das nicht, wahrscheinlich ist das eher eine Glaubenssache, was aber fast nie stimmt, glaube ich, ist, dass die Zweiten die Ersten sein werden. Das kommt wirklich ganz, ganz selten vor, und dafür gibt es auch gute Gründe.

Alles scheint darauf hinauszulaufen, dass Philipp Rösler der neue Parteivorsitzende der FDP wird - was schon eh ziemlich erstaunlich ist für einen Mann, der nach ein paar Wochen als Gesundheitsminister so amtsmüde war, dass er keine Gelegenheit ausließ, um über seinen Rückzug aus der Politik zu sprechen: Das tat er bei "Beckmann" und das tat er im Bierzelt, und wenn man ihn damals hörte, dachte man sich: auch okay.

Mit dem Parteivorsitz bekommt Rösler wohl auch den Job des Vizekanzlers - und plötzlich sagt jeder politische Kommentator, dass es den Job des Vizekanzlers ja eigentlich nicht geben würde, beziehungsweise, dass der Job des Vizekanzlers, würde es ihn denn geben, keine Bedeutung habe.

Ist ja im Prinzip auch alles richtig, das Grundgesetz kennt das Amt des Vizekanzlers nicht, allerdings das des Stellvertreters des Kanzlers - was allerdings was anderes ist: Bayer Leverkusen wird dieses Jahr zum wiederholten Mal Vizemeister, allerdings nicht Stellvertreter von Borussia Dortmund. Wenn die, aus welchen Gründen auch immer, nächste Saison mal ein Champions-League-Spiel verpassen, können die nicht die Leverkusener schicken.

Was aber wird eigentlich genau auf Philipp Rösler zukommen? Im Prinzip nicht viel: er bekommt zwar die Aufgabe, "die Befugnisse des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland für den Fall seiner Verhinderung wahrzunehmen" - aber wann passiert das schon mal? Röslers Vorgänger Guido Westerwelle durfte als "Vizekanzler" mal eine Kabinettssitzung leiten. Die dauerte knapp 20 Minuten. Danach sprach er 78 Minuten über das Amt des Vizekanzlers, das ihn mit Stolz erfülle ("Ich kann Ihnen sagen - das ist kein Geheimnis: Man empfindet es in diesem Augenblick als eine große Ehre, dass man seinem Land dienen darf.").

Einmal dauerte das ein bisschen länger: Als Walter Scheel der Stellvertreter von Willy Brandt war, war Scheel für zehn Tage amtierender Bundeskanzler, nachdem Brandt am 7. Mai 1975 zurückgetreten war und den damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann gebeten hatte, ihn sofort von seinen Aufgaben zu entbinden. Sechs Wochen später war Scheel übrigens Bundespräsident - es ging also schon immer etwas verrückt zu in der Bundesrepublik.

Rösler wäre übrigens der erste Gesundheitsminister, der "Vizekanzler" wird - ein Gesetz, das vorschreibt, das immer, immer, immer der Außenminister der Vizekanzler sein muss, gibt es natürlich nicht, es machte meist nur Sinn. Allerdings war Vizekanzler Müntefering Arbeitsminister und Jürgen Möllemann Wirtschaftsminister, als er in jener dunklen Zeit (18. Mai 1992 bis 21. Januar 1993) der Stellvertreter von Helmut Kohl war.

Jürgen Möllemann. Es gibt aber auch die anderen Zweiten, die anderen Stellvertreter, die im Schatten so sehr glänzen, dass der Ruhm ihnen gebührt. Im Kino kann man das gerade beobachten, in dem Film "The Fighter". Da spielt die Hauptrolle Mark Wahlberg, er macht das auch ganz solide, die Sensation aber ist Christian Bale, der seinen Bruder spielt und für diese Darstellung auch ganz zu Recht den Oscar für die beste Nebenrolle bekommen hat. Interessanterweise bekam Heath Ledger seinen völlig verdienten Nebenrollen-Oscar für seine Joker-Darstellung in dem Film "The Dark Knight", Hauptrolle: Christian Bale.

Auch im Sport glänzt oft nicht der Chef, sondern sein Nebenmann, bei der Fußball-WM im vergangenen Jahr war zwar Philipp Lahm der Kapitän - die Sensation war aber Bastian Schweinsteiger, sein Stellvertreter. Michael Jordan mag der beste Basketballspieler aller Zeiten sein - ob er das auch ohne Scottie Pippen geworden wäre, bleibt zumindest diskussionswürdig. In der Musik gilt der Sänger einer Band als der Star - oft genug kann er das aber nur sein, weil das schüchterne Bürschchen hinter einem Instrument die Kompositionsarbeit geleistet hat.

Es braucht - so ist wohl das Leben - immer einen der glänzt, und einen anderen, der die Arbeit macht. Wer in der schwarz-gelben Regierungskoalition allerdings glänzt - und wer die Arbeit macht, erfahren wir möglicherweise erst, wenn Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ihre Biografie veröffentlicht. Oder Rainer Brüderle. Möglicher Arbeitstitel: "Einer geht noch."

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