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Matthias Kalle.

© Privat

Ich habe verstanden: Letzte Worte sind der Fetisch unserer Zeit

Die letzten Worte berühmter Persönlichkeiten haben eine lange Tradition, die nach dem Tod von Apple-Gründer Steve Jobs eine Art Rennaissance erlebt. Das wirklich letzte Wort hat aber sowieso unser Kolumnist.

Leider denken jetzt alle, wirklich alle darüber nach, welchen „letzten Worte“ sie wohl sagen könnten in dem Moment, in dem das letzte Hemd keine Taschen mehr hat. Alle denken darüber nach, weil Mona Simpson, die Schwester von Steve Jobs, die letzten Worte ihres Bruder verraten hat. Sie lauten: „Oh wow. Oh wow. Oh wow.“

Simspsons Trauerrede, die sie vor einigen Wochen in Stanford hielt, wurde zunächst am vergangenen Wochenende in der „New York Times“ abgedruckt und am Donnerstag dann im Feuilleton der „Zeit“, und dieser Text ist großartig, wunderschön, bewegend, anrührend. Dummerweise hatte ich mir vergangene Woche diese Steve-Jobs-Biografie gekauft, sie kostet ja 25 Euro und wurde von mehreren Übersetzen ins Deutsche übertragen, das musste schnell gehen, das Buch sollte auf den Markt, und deshalb steht da wohl auch drin, dass es sich der Begriff „Silicon Valley“ von Silikon ableiten lasse, was natürlich haarsträubender Unsinn ist, denn das „Silicon Valley“ ist nicht bekannt für Brustvergrößerungen, sondern für Computer, deshalb lautet die Übersetzung von Silicon ja auch Silicium. Abgesehen davon ist der Text von Mona Simpson besser als das Buch – aber hätte sie doch bloß die letzten Worte von Steve Jobs für sich behalten.

Letzte Worte – offensichtlich will man, wenn man geht, noch irgendwas sagen, das die, die bleiben müssen, dann mit Bedeutung füllen können. Die „Letzten Worte“ sind so etwas wie der Fetisch unserer Zeit, immerhin baute Orson Welles einen der besten Filme aller Zeiten um ein letztes Wort: In „Citizen Kane“ sagt Charles Foster Kane mit seinem letzten Atemzug „Rosebud“, aber wer oder was ist Rosebud, ein Reporter versucht hinter das Geheimnis zu kommen, und in der letzten Szene des Film sieht der Zuschauer, das „Rosebud“ der Name des Schlittens ist, den Kane als kleines Kind besaß. Werden wir in einigen Jahren die letzten Worte „Barbie“ oder „Playmobil“ zu hören kriegen?

Das Lexikon kennt drei Arten von letzten Worten: vor dem natürlichen Tod, vor dem plötzlichen Tod und vor der Hinrichtung, und in jeder Kultur hielt man das Festhalten der letzten Worte für eine wichtige und richtige Sache, deshalb kennen wir heute die letzten Worte von Archimedes („Störe meine Kreise nicht.“) und Caesar („Auch du, mein Sohn Brutus?“) Im Mittelalter gab es den Trend, dass die letzten Worte einen ähnlichen Sinn haben müssten, wie die letzten Worte Jesus, deshalb wurde sogar eine Formel erfunden, an die sich unter anderem Luther und Kolumbus hielten: „Herr, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Heute wirkt das nicht mehr sehr zeitgemäß, heute streben die Menschen dann doch eher nach Originalität und Individualität, manchmal scheint man aber die Sterbenden nicht richtig zu verstehen: Von Goethe heißt es zum Beispiel immer, er habe gesagt „Mehr Licht“, da Goethe aber stark hessisch sprach, könnte er auch gesagt haben „Mir ist schlecht“ - was allerdings dem Tod eher nichts von seinem Schrecken nimmt und ein wenig an das erinnert, was Colonel Kurtz ins Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“ sagt: „Das Grauen.“ Das macht wenig Lust auf den Tod.

Von Menschen, die hingerichtet wurden, sind allerdings einige großartigen letzte Worte überliefert, die beweisen, dass man seinen Humor im Grunde niemals verlieren sollte. Als der bayrische Räuber Mathias Kneißl am 21. Februar 1902 mit einer Guillotine hingerichtet wurde, sagte er: „Die Woche fängt ja gut an.“ Werner Gladow, Chef der berühmten Berliner Gladow-Bande, wurde 1950 in Frankfurt (Oder) zum Tode verurteilt, genauer: zur dreifachen Todesstrafe, worauf Gladow sagte: „Wissen Sie, Herr Richter, die dreifache Todesstrafe, einmal lass ich mir das ja gefallen, die Birne abhauen, aber die anderen beiden Male würde ich sagen, das ist Leichenschändung.“ Der Begriff Galgenhumor findet hier seine Berechtigung.

Aber vielleicht sollten die meisten Menschen im Angesicht des Todes einfach mal die Klappe halten – oder aber es machen wie Winston Churchill. Der sprach mit seinen letzten Worten etwas aus, das für alle Ewigkeit Gültigkeit haben sollte: „Ich habe es so satt.“

Wow.

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