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Ich habe verstanden: Loki Schmidt und Harry Mulisch: Trost ist kein Verrat

In seiner Kolumne "Ich habe verstanden" bleibt Matthias Kalle diesmal bei dem, was endet. Zwei Menschen starben, Loki Schmidt und Harry Mulisch. Und zwei Freunde, Weggefährten, fanden dafür Worte, schöne, tröstende Worte.

Zu den vielen Feiertagen, die es in Berlin nicht gibt, gehört auch der Buß- und Bettag am 17. November. Es ist übrigens ein Feiertag der evangelischen Kirche, und er fällt immer auf den Mittwoch vor dem Ewigkeitssonntag. Der Ewigkeitssonntag ist der letzte Sonntag des evangelischen Kirchenjahres, mit dem Advent beginnt das neue Kirchenjahr, das interessiert aber nun wirklich keine Sau.

Bleiben wir mal bei dem, was endet. Vor kurzem endeten zwei Leben, das Leben von Loki Schmidt, der Ehefrau des Alt-Bundeskanzlers Helmut Schmidt, und das des holländischen Schriftstellers Harry Mulisch. Bei Loki Schmidt war die Anteilnahme vieler Menschen sehr groß – die Trauer um ihren Tod mischte sich mit der Sorge um Helmut Schmidt: wie würde der Mann diesen Schlag verkraften?

Am Montag dann war die Beerdigung und man sah, dass Helmut Schmidt sich den Ehering seiner Frau auf den kleinen Finger gesteckt hatte. Und man hörte die Rede von Henning Voscherau, dem ehemaligen Hamburger Bürgermeister. Loki Schmidt wollte, dass Voscherau diese Rede hält, und diese Rede berührte die Menschen im Hamburger Michel und die Menschen vor dem Fernseher und sie berührte den Redner selbst, seine Stimme stockt, als er sagt: „Loki war die verlässliche verzeihende Säule Eurer sehr langen Liebe und Ehe. 68 Jahre seid Ihr verheiratet, 82 Jahre eng verbunden.“

Den letzten Satz sagte Voscherau im Präsens, und das war kein Fehler. Am Ende dann spielte die Orgel „Kanon und Gigue“ des Nürnberger Barockkomponisten Johann Pachelbel, der Sarg von Loki Schmidt wurde hinausgetragen, Helmut Schmidt folgte ihm unter Tränen.

Die Harmonie-Folge des Werkes tauchte übrigens immer mal wieder auf, auch in der Popmusik, zum Beispiel in dem großen Spiritualized-Stück „Ladies and Gentlemen, We are Floating in Space“ – Meine Damen und Herren, wir schweben im Weltall“, und am Ende seiner Rede zitierte Voscherau ein Gedicht von Rainer Maria Rilke:

„Die Blätter fallen, fallen wie von weit
Als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
Und doch ist einer, welcher dieses Fallen
Unendlich sanft in seinen Händen hält.“

Der Himmel, das Weltall – das war nichts für Harry Mulisch, der am 30. Oktober starb. Cees Nooteboom schreibt über das letzte Treffen mit seinem Freund: „Sein Blick ist klar wie immer, es ist ein prüfender Blick, mit dem die Freunde gesehen werden, die Welt gewogen wird. Bis zuletzt.“

Mulisch wog die Welt, sein ganzes Leben lang, in seinen Büchern, vor allem in dem großartigen „Die Entdeckung des Himmels“. Und er leugnete die Realität des Todes, denn er meinte, ein Mensch, der tot sei, könne nicht sagen, dass er tot sei – das sagte Mulisch 2002 in einem Interview, mit dieser Anekdote beginnt Nooteboom seinen Nachruf in der „Zeit“, und dieser Nachruf ist dann vor allem eine unbedingte Bejahung des Lebens, eine Bejahung des Wollens.

Zwei Menschen sind gestorben, zwei Freunde, Weggefährten, finden dafür Worte, schöne, tröstende Worte, und ich glaube, man sollte sich diese Worte durchlesen und sie für sich selber wiegen, jetzt im November, diesem seltsamen Todesmonat. Man sollte sie lesen und vielleicht rausgehen, vor die Tür, egal, ob die Sonne scheint oder ob es regnet. Man sollte vielleicht für ein paar Stunden all das vergessen, was man nicht versteht oder worüber man sich nur noch zynisch Gedanken machen kann. Vielleicht sollte man am Wochenende einmal in die Sophienstraße nach Mitte gehen und im Barcomis einen Cheesecake essen. Und dabei kann man dann auf das Schild schauen, was in dem Hinterhof hängt. Auf dem Schild steht ein Zitat von Bazon Brock, es lautet: „Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter.“

Mit dem ersten Teil hat Brock Recht. Mit dem zweiten nicht. Henning Voscherau und Cees Nooteboom sind keine Verräter. Sie haben vor allem das Leben verstanden. Ich glaube, das hilft am besten gegen den Tod.

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