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Ich habe verstanden: Nie sollst du mich befragen

Skepsis ja, aber von Boykott gegen die Volksbefragung kann keine Rede sein. Heutzutage gibt ohnehin fast jeder seine Daten auf Facebook preis. Matthias Kalle ist sich allerdings ziemlich sicher, dass er beim Zensus 2011 selbst gar nicht befragt wird.

Wahrscheinlich werde ich wieder nicht gefragt. Ich werde ohnehin fast nie gefragt. Niemand ruft an, wenn ich Abendbrot esse und erkundigt sich danach, ob ich mir vorstellen könnte, für ein verbessertes Hundefutter mehr Geld auszugeben. Selbst auf der Straße, wenn Fernsehpraktikanten mit einer Kamera auf der Schulter nach der Volksmeinung Ausschau halten und ich ihnen entgegenkomme, scheinen sie sich wegzudrehen: "Nicht den!", denken die dann wohl. "Jeder andere, aber den frage ich nicht."

Deshalb bin ich mir ziemlich sicher, dass ich am Montag keinen Brief von Zensus bekommen werde. Zensus ist das neue Wort für Volksbefragung; ich weiß nicht, ob es eine Verbesserung bedeutet. Aber offensichtlich rüttelt der Begriff "Zensus" nicht an den Ängsten der Deutschen - anders als noch vor einem Vierteljahrhundert, regt sich kein Widerstand. Damals, 1987, war das noch anders, tatsächlich waren es die ersten Akte zivilen Ungehorsams, die ich bewusst erlebt habe: Ich erinnere mich, dass jemand vor dem Bundesligaspiel zwischen Dortmund und dem Hamburger SV "Boykottiert und sabotiert die Volkszählung" auf den Rasen des Stadions gesprüht hatte. Weil man die Farbe nicht so schnell entfernen konnte, wurde der Text, nun ja, verlängert - beim Anstoß stand da: "Der Bundespräsident: Boykottiert und sabotiert die Volkszählung nicht."

Heute muss der Bundespräsident nicht zur Gelassenheit mahnen - von Boykott oder Sabotage spürt man nichts. Selbst die Kritiker der Volkszählung von 1987 regen sich nicht über Gebühr auf - was möglicherweise auch an den Fragen liegt: 46 werden gestellt, 45 müssen beantwortet werden, auf die Frage nach der Religionszugehörigkeit kann man, muss man aber nicht antworten. Das wirkt, finde ich, allerdings ein bisschen albern, schließlich leben wir in Zeiten, in denen der Deutsche auf seiner Facebookseite angibt, was er letzte Nacht getrunken hat - zu welchem Gott er letzte Nacht gebetet hat, bleibt ein Tabu.

Dass sich kein Protest gegen die Volkszählung regt, liegt wahrscheinlich auch daran, dass sich Verschwörungstheoretiker mit ihrer Horrorvision vom Überwachungsstaat nicht durchsetzen konnten - anstatt seine eigenen Daten also zu schützen, geben wir sie freiwillig her. Mach ich auch, dabei habe ich nicht einmal einen Facebook-Account, noch nie was bei Ebay ge- oder verkauft und meine Bankgeschäfte erledige ich in einer Filiale - trotzdem: Amazon weiß, welche Bücher ich lese und welche Musik ich höre; die von Sony (und seit zwei Wochen auch noch ein paar andere Menschen) kennen meine Fähigkeiten beim Playstation-Fußball, Apple weiß, von wo aus ich bei der Arbeit angerufen habe um zu sagen, dass ich später komme. Google weiß, welche Seiten ich mir im Internet anschaue, welche geisteskranken Wege eine Recherche über, sagen wir, den Zivildienst gehen kann (würde Google das mal veröffentlichen, könnten Journalistenschulen das als Negativbeispiel im Fach Recherche präsentieren).

Wenn ich übrigens meinen eigenen Namen googlen würde, was ich selbstverständlich niemals tue, dann würde ich immerhin erfahren, welchen Job ich bis vor drei Jahren hatte und wie ich ungefähr aussehe. Nichts von diesen Informationen habe ich übrigens selbst ins Netz gestellt - und ich wüsste nicht, wie ich die wieder da rauskriege. Jetzt sind sie halt da.

Andererseits bin ich ja auch furchtbar langweilig - ich habe im Grunde genommen keine dunklen Geheimnisse, keine Leichen im Keller. Ich zahle Steuern und gehe zur Wahl. Ich schlage keine Hunde. Ich halte Damen die Tür auf. Laut werde ich höchstens auf dem Rummel, wenn ich für meine Frau eine Rose schieße. Sollte ich aus Versehen mal ein Knöllchen bekommen, zahle ich die Strafe noch am gleichen Tag. Möglicherweise ist das ja das Problem: Ich bin für den Zensus 2011 viel zu langweilig zu belanglos. Dabei bin ich mir ziemlich sicher, dass ich lieber möchte, dass der Staat meine Handynummer hat, falls mal was ist, als - jetzt nur mal als Beispiel - Vattenfall.

Manche teilen diese Ansicht nicht, die werden skeptisch, wenn der Staat von ihnen mal was wissen will. Aber wenn ein weltweit operierender Konzern ihre Daten haben möchte, dann geben sie ihm die. Oder sie erzählen ungefragt, was sie bei der Hochzeit von Kate und William empfunden haben (und vor allem: wie sie Pippa, die Schwester der Braut finden); was sie von der Tötung Osama bin Ladens halten; wie ihr Verhältnis zur FDP derzeit ist; wer ihrer Meinung nach am Samstag DSDS gewinnen sollte; welche Mannschaft in jedem Fall aus der Bundesliga absteigt.

Zu all diesen Fragen hätte ich übrigens auch eine Meinung. Aber weil keiner fragt, behalte ich sie für mich.

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