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Die Enthüllungsplattform Wikileaks.

© dpa

Ich habe verstanden: Welche Dinge sind wichtig?

Seine Mutter weiß mehr über Wikileaks und Julian Assange als er: Matthias Kalle fragt sich, ob sein Prioritätenraster noch stimmt.

Ich verpasse ständig diesen Moment, wo Erkenntnis noch möglich wäre. Ich verpasse ihn, und dann ist es zu spät. Der Leser dieser launigen Kolumne erwartet wahrscheinlich vollkommen zurecht, dass ich mich hier an Wikileaks und an Julian Assange abarbeite. Dass ich es schaffe, einem unglaublich kleinen Aspekt eine so unglaublich große Bedeutung zu verleihen, dass am Ende jeder was davon hat. Das Problem ist aber: ich habe keine Ahnung von Wikileaks und Julian Assange – weil ich zu spät dran bin.

Es war vor fast zwei Wochen, da sah ich nach dem Tatort die Talkshow „Anne Will“, dass heißt: ich sah nur die ersten fünf Minuten, denn es ging um die so genannten Wikileaks-Enthüllungen, die der „Spiegel“ am Tag darauf auf seinem Cover hatte, Sie wissen schon: Merkel scheut das Risiko und so.

Damals war mein erster Reflex: Hä? Mein zweiter war: weiß ich schon, ich schalt mal um. Mein dritter Reflex war dann, dass das die Leute nicht interessieren wird, weil sich die Leute für Dinge, die sie schon wissen, generell nicht interessieren. Ich dachte wirklich: das legt sich schon, denn ich habe gelernt, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Jetzt muss ich aber feststellten, dass man Dinge, die lauwarm gekocht wurden, unglaublich heiß essen kann.

Nur ich kann das offensichtlich nicht, und deshalb weiß jetzt zum Beispiel meine Mutter mehr über Wikileaks und Julian Assange als ich. Ich habe einfach den Zeitpunkt verpasst, in dem ich in die Sache hätte einsteigen können – jetzt ist es zu spät. So etwas passiert mir immer wieder, bei der Finanzkrise 2008 war das auch so. Als die begann, war mein erster Reflex ähnlich wie bei Wikileaks, und als die ganze Sache dann wirklich wichtig wurde, hatte ich bereits so viel Informationen verpasst und alle anderen hatten einen immensen Informationsvorsprung, dass ich dachte, dass ich das nie wieder aufholen werden. Ist mein Problem, das ich wichtige Sachen unwichtig finde und unwichtige Sachen wichtig? Stimmt mein Prioritätenraster nicht?

Bevor ich diese Kolumne schreibe, schaue ich bei tagesspiegel.de immer in die Spalte, wo die „meist diskutierten“ und die „meist gelesenen“ Texte aufgeführt werden. Am meisten wird im Moment über Wikileaks und Julian Assange diskutiert, am meisten gelesen wird der Text von Susanne Leinemann, die Ende April in Wilmersdorf überfallen wurde. Meistens ist das für mich immer sehr demotivierend, denn die Kollegen haben schon sehr gute Texte geschrieben, über die man zurecht diskutiert und die zu recht gelesen werden, und ich denke dann immer: was soll ich denn jetzt eigentlich noch schreiben?

Vielleicht noch das hier: Ich glaube, dass es nie wieder eine Ausgabe von „Wetten, dass...?“ geben wird, denn diese Spielshow hat vergangenen Sonnabend seine Unschuld verloren. Und schon wieder nehme ich die unwichtigen Dinge viel zu wichtig.

Nächste Woche beschäftige ich mich mit dem Klimawandel. Versprochen.

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