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Tagesspiegel-Online-Kolumnist Matthias Kalle.

© promo

Ich habe verstanden: Wer einer Firma mit Namen "Easy Abi" vertraut, sollte kein Abitur machen dürfen

Beim eigenständigen Organisieren einer Abifeier lernen junge Menschen mehr als beim "Outsourcen", denkt Matthias Kalle. Und versteht dann, dass er nichts versteht vom Leben der Abiturienten heute.

Ich könnte jetzt natürlich von damals erzählen, 1994 war das, als wir mit den Mitteln, die uns damals zur Verfügung standen, versuchten eine Abiturfeier nach unserem Geschmack auf die Beine zu stellen: Wir veranstalteten Tombolas, einen Flohmarkt, wir machten eine Abizeitung, die wir teuer verkauften und für die wir auf Anzeigenakquise gingen. Wir baten um Spenden bei Lehrern und Eltern und nicht nur, um die Kosten gering zu halten, sondern weil wir es so wollten, fand die Abifeier in unserer Schule statt, zwei Schüler unseres Jahrgangs moderierten, einer war der DJ, eine befreundete Band spielte, jeder kannte entweder einen Getränkehändler oder einen, der die nötige Technik hatte. Für die Kellner war es Brauch, dass diesen Job die 11- und 12-Klässler übernehmen, natürlich umsonst. Für das Rahmenprogramm machten wir uns selbst zu den Deppen. Neben all dem Proben und Organisieren bestanden die meisten von uns dann auch noch ihr Abitur, aber das war ja auch in Nordrhein-Westfalen. Von all dem könnte ich jetzt erzählen, in schönen Sätzen, mit nostalgischem Sound, und das wäre dann ein Taschenspieler-Trick um beim Lesen das Gefühl zu erzeugen: Ach! Ja! Früher! Mensch...

Nee, Schluss, vorbei, das alles ist jetzt 17 Jahre her, das ist ja quasi alles nicht mehr wahr und in der Rückschau würde ich das nur verklären und die ganze Geschichte so verdichten, dass am Ende nur die zauberhaften Momente übrigbleiben, die von Glück und Exzess und von Unschuld erzählen, aber damit wird man der Gegenwart nicht gerecht, nicht den Schülern, die betrogen wurden von Männern, die vielleicht keinen Anstand haben, mit Sicherheit aber nicht wissen, welche Sehnsüchte ein junger Mensch mit 18, 19 Jahren hat. Die Betreiber von „Easy Abi“ haben sich nicht nur das Geld genommen, dass ihnen die Schüler gegeben haben, damit sie dafür eine Feier bekommen – sie haben ihnen auch Momente weggenommen, die es bisher nur in ihrer Vorstellung gab und die bis zum Schluss größer und schöner gewesen waren als es die Wirklichkeit jemals sein wird – so groß und so schön, wie es dann wieder nur in der Rückschau passiert.

Und in der Rückschau auf diese Woche, in der Rückschau auf diesen Betrug, dachte ich zuerst als ich davon las, dass man eigentlich kein Abitur machen dürfte, wenn man sich einer Firma anvertraut, die „Easy Abi“ heißt. Und ich dachte, dass vielleicht als junger Mensch andere Dinge lernen und erfahren sollte als das „Outsourcen“ von Aufgaben. Aber dann dachte ich – und ich denke es immer noch – dass ich nichts weiß über das Leben der Abiturienten heute; dass ich keine Ahnung habe von ihren Sorgen, ihren Hoffnungen, ihren Problemen und ihren Wünschen. Dass es zu einfach ist, sich darüber lustig zu machen, dass einige dieser Abiturienten jetzt offensichtlich Autos waschen, um ein wenig Geld für eine kleine Feier zusammenzubekommen. Und vor allem, dass diese Mädchen und Jungs ihr Abitur so feiern können, wie sie das für richtig halten, in dem Rahmen, der ihnen gefällt – und das all diejenigen, die ihnen das verwehren, im Unrecht sind.

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