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Meinung: „Ich hatte nur Angst, die Töne nicht zu treffen“

Von Stars erwarten wir ein gradliniges, übersichtliches Leben. Sie dürfen häufig Partner und Wohnorte wechseln und mal eine Krise durchleiden, das ist in Ordnung.

Von Stars erwarten wir ein gradliniges, übersichtliches Leben. Sie dürfen häufig Partner und Wohnorte wechseln und mal eine Krise durchleiden, das ist in Ordnung. Aber es muss eine prominentenmäßige Kontinuität dabei sein, etwas, auf das sich die Fans verlassen können. Aber was wissen wir wirklich von Marianne Rosenberg? „Er gehört zu mir“, selbstverständlich, „Marleen“ und ein paar andere prekäre Dauerbrenner, Ikonen vor allem in der Schwulenszene. Doch die Schöpferin dieser Lieder hat sich selbst immer ein wenig verborgen gehalten, tritt mit ihrer komplizierten Familiengeschichte erst jetzt an die Öffentlichkeit. „Kokolores“ heißt ihre nun erschienene Autobiografie.

Bekannt war: Sie stammt aus einer Familie deutscher Sinti, ihr Vater Otto, 2001 gestorben, war Vorsitzender des Landesverbands der Sinti und Roma. Doch wie dies ihr Leben geprägt hat, erzählt sie erst jetzt. Die Geschwister des Vaters und sein Vater sind in Auschwitz gestorben, er überlebte das Lager. Nach dem Krieg starb auch seine Mutter, und er nahm die fünfjährige Marlene mit in die Kneipe, wo er sie auf den Tisch stellte und singen ließ, „aus Sehnsucht nach der Stimme seiner Mutter“, wie sie sich erinnert, „ich hatte nur Angst, dass ich die Töne nicht treffe“. In einem „Zeit“-Interview schildert sie dies lakonisch: Sie habe das „einfach so hingenommen wie die tätowierte Nummer auf dem Arm meines Vaters“.

Die Jugend, offenbar nicht unglücklich, auch wenn dann und wann jemand über „Zigeuner“ frotzelte. Über die Nazizeit wollte niemand reden – und als Marianne Rosenberg erste Erfolge feierte, riet ihr Vater, sie solle Journalisten erzählen, sie komme aus Ungarn. Nur zum Schutz – doch dieser Schutz führte dazu, dass der Sänger Paul Simon ihr als Juror eines Gesangswettbewerbs in Rio de Janeiro sagte, er als Jude könne Deutschland keinen Punkt geben.

Doch der Erfolg versöhnte sie nicht mit ihrer Heimat: „Das Gefühl, nicht dazuzugehören, zieht sich durch mein Leben. Ich blieb immer fremd.“ In den achtziger Jahren zog es sie zur Hausbesetzerszene, sie demonstrierte auf hohen Absätzen, sang mit Rio Reiser und Marianne Enzensberger, und ihr Mann, „Radikal“-Herausgeber, saß wegen angeblicher Unterstützung einer terroristischen Vereinigung eine Weile in U-Haft. Es gab Zeiten, sagt sie, „in denen ich Marianne Rosenberg gern um die Ecke gebracht hätte. Marianne Rosenberg kann niemand wirklich sein, auch ich nicht.“

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