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Ich lebe jetzt in …: … Irland

Antje Joel über den Nutzen und Wert von Terriern und Boxerhündinnen

Ich habe den Hund nicht gerettet. Ich bin weitergegangen. Nicht, ohne darüber nachzudenken zwar. Aber doch, ohne etwas zu tun. Es waren so viele Hunde. So viele Pferde. Und ich hatte eine Ahnung, dass „richtig“ und „falsch“ vielleicht variable Größen sind.

Es ist der October-Horse-Fair in Ballinasloe, Europas größter Pferdemarkt, 3000 Verkaufspferde in jedem Jahr. Die Hunde hat keiner gezählt. Es regnet, es stürmt. Pferdeleiber drängen sich auf dem Platz. Eine schwarzweißbraunsilberne Masse. Im Schlamm liegen erschöpfte Fohlen. Mit Stöcken und Peitschen wachen die Händler. In wadenlangen Regenmänteln und Gummistiefeln. Ich denke: Es wird sich wenig geändert haben seit dem ersten Markt hier vor 169 Jahren. Einer fragt: „Wie viel für den Hund?“ Er meint meinen. Ich sage: „Unverkäuflich.“ Er versteht nicht. Unverkäuflich gibt’s nicht. Irland ist Farmerland. Jedes Tier hat einen Nutzen. Und einen Wert. Oder: Es hat keins von beiden. Ist das falsch? Oder nur eine fremde Art von richtig?

Wie viel für den Hund? Jetzt frage ich. Mit kurzem Strick an einen Baum gebunden, liegt eine Boxerhündin. „250“, sagt der zahnlose Kerl daneben. „Bist du Kundin?“ Die entscheidende Frage: Meine ich’s ernst? Dass ich schon einen Boxer an der Leine führe, lässt den Zahnlosen hoffen. „Ist ein Lamm.“ Die fremde Boxerin dreht den Kopf. „Wie alt?“ frage ich. „Vielleicht zwei.“ – „Vielleicht? Wie lange hast du sie?“ – „Zwei Stunden.“ Ich lache. Er ruft: „Ich lüge nicht. Eben gekauft, von einem da drüben.“ Warum verkauft er sie wieder? Er reibt Daumen und Zeigefinger aneinander. „Ich mag, was ich im Austausch bekomme.“ An einem Strick hält er drei Terrier. „Auch eben gekauft.“ Er lacht. „Bin mit acht Hunden hergekommen, hab sieben ver- und diese vier gekauft. Die bringen mir noch mal schönes Geld.“

Für die Boxerhündin muss auch mal einer ein schönes Geld bezahlt haben. Wie kommt sie hierher? „Nimmst du sie jetzt?“ Der Zahnlose ist in Eile. „Sonst weiß ich einen, der nimmt sie sofort.“ Ohne Frage. Sie hat einen Nutzen. Und einen Wert. Man kann mehr Boxer, mehr Geld mit ihr machen. Es sind genug auf dem Markt, die das wissen. Und doch will ich sie nicht retten. Denn vielleicht ist sie kein „Lamm“. Meine Tochter sagt: „Bitte!“ Ihr zuliebe sage ich: „Nein.“ Und dem Hund zuliebe, den ich schon habe. Und mir zuliebe, das auch. Obwohl das nicht schön ist, nehme ich an, es ist nicht falsch. Nur eine andere Art von richtig.

Die Autorin ist vor acht Wochen nach Irland ausgewandert und berichtet hier von ihrem neuen Leben.

Antje Joel

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