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Meinung: Ich mag dich ja. Aber musst du so hässlich sein?

Roger Boyes, The Times

Sollte der Tonfall dieser Glosse diesmal etwas mürrisch ausfallen, gibt es dafür einen einfachen, unbequemen Grund: Man hat mich zu einer 52-stündigen Busreise von London nach Bukarest geschickt, um Rumäniens EU-Beitritt mitzufeiern. Ehrlich gesagt wäre ich lieber nackt vom Fernsehturm Bungee gesprungen. Aber gut. Meine Mission ist es, schlaflose Buspassagiere über ihre Hoffnungen für Europa auszufragen und sie nicht zu schelten, wenn sie versuchen, mir die Kehle durchzuschneiden. Ich hätte durchaus Lust, das mit meinem Chefredakteur zu tun.

Für Deutschland wird es das Jahr Europas, mit Ratspräsidentschaft und wichtigen Herausforderungen. Ein guter Moment, mal darauf zu schauen, wie Europa wirklich bei den Deutschen verwurzelt ist. Fühlen sich Berliner wirklich als Europäer – oder nur „westlich“? Ich hatte schon beim letzten Chefjahr der Deutschen 1999 so meine Zweifel. Beim Gipfel in Berlin stopfte sich die Presse in das Bikini-Haus am Zoo. Helmut Kohl zog es vor, Gipfeltreffen im Interconti in der Budapester Straße stattfinden zu lassen – von da konnte er sich am einfachsten kurz herausschleichen, um die Streiche rothintriger Paviane im Affenkäfig nebenan zu beobachten. Das half beim Nachdenken über Europas Währungsunion. Schröder war kein Affenfreund, doch er beließ es beim Interconti. So mussten wir Journalisten uns ins überfüllte Bikini-Haus drängen, ein Riesenchaos. Als für Stunden der Strom ausfiel, hatte die Präsidentschaft ihren Ruf weg: inkompetent. Zur Kompensation, dass wir unsere Abgabetermine verpassten, bekamen wir Berlin-Teddys. Mein Hund schlitzte seinen später auf. Er dachte, es sei eine Ratte.

Als ich damals so aus der Düsternis des Pressezentrums über den Breitscheidplatz schaute, dachte ich mir: Das soll ein Platz sein? Die Gedächtniskirche, umgeben von Touristen, die vergebens nach dem Zentrum Berlins suchten? Dieser verrückte, brückenartige Bau über die Kantstraße, dessen einziger Sinn darin zu bestehen scheint, Besucher des Sexkinos von unerwünschten Blicken abzuschirmen? Das Europacenter, das all seinen Glanz verloren hat?

Seit den alten Griechen sind urbane Plätze eine Errungenschaft europäischer Zivilisation. Orte, an denen Menschen sich treffen und austauschen. Die Kommunisten haben das verstanden und gefürchtet, deshalb machten sie aus ihren Plätzen (wie dem Alex) Aufmarschflächen mit dem Charme von Flugzeuglandebahnen. Wir im Westen haben keinen Grund, uns zurückzulehnen. Der Schaden, den Berlins Plätze im Krieg davongetragen haben, wurde durch die 50er-/60erJahre-Ideologie allzu oft verschlimmert, die schöne Plätze als Luxus begriff. Man muss nur mal Bilder vom Olivaer- oder Lützowplatz vor dem Krieg mit dem jämmerlichen Zustand heute vergleichen.

Die europäische Vorstellungskraft, sie fehlt in Berlin. Als Resultat ist die Stadt eine der hässlichsten in Europa geworden – auch wenn (oder weil?) es von modernen Architekten gefeiert wird. Gewiss, es gibt ein Solitär wie Axel Schultes’ Kanzleramt, das da so sitzt wie ein Typ mit Körpergeruch auf einer Studentenparty. Es ist ein nettes Gebäude (ich hab meine Meinung dazu schon einige Male geändert), doch wo ist die europäische Vision? Wie passt das Kanzleramt zur deutschen Gesellschaft? Alles, was ein Berlin-Besucher von der Umgebung des Hauses ableiten kann, ist, dass der Kanzler gerne mit dem Zug fährt.

Ein erster Schritt müsste sein, Berlins Denkmalschutzphilosophie zu hinterfragen. So viele Gebäude werden sinnlos geschützt, weil die Stadt nicht das Selbstvertrauen dazu hat, zu sagen, was wirklich wert wäre, erhalten zu werden. Das Bikini-Haus ist so ein Fall. Unter Denkmalschutz? Das ist doch furchtbar – und sinnlos! Oder das elende Telefunken- Hochhaus am Ernst-Reuter-Platz – warum wird das geschützt? Ich kann ja akzeptieren, dass es einen historischen Grund dafür gibt, das Haus des Lehrers zu erhalten – erbaut von Henselmann, bevor der Fernsehturm den Platz verändert hat. Schwieriger wird es, wenn ich mir Teile der Ex-Stalinallee anschaue: Was für ein ästhetisches Prinzip wird hier verteidigt? Welche historische Errungenschaft?

In englischen Haushalten ist es vor Neujahr üblich, dass Junggesellen Socken aussortieren. In den Schubladen stapeln sich Einzelteile, Socken mit Löchern, eingelaufene,hässliche Exemplare. Silvester ist der Moment, an dem es zu entscheiden gilt, was man behalten und was man loswerden will. Berlin könnte sich das zu Herzen nehmen – und architektonische Reinfälle aus den 50ern in West und Ost entsorgen. Berlin wird dann nicht gleich Florenz, ich weiß. Aber es kann seinen Platz intelligenter nutzen. Warum bloß sind die Berliner ihren Schandflecken gegenüber so nachsichtig?

Aus dem Englischen von Sebastian Bickerich.

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