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Meinung: „Ich will mich nicht …

… vom Hofe stehlen.“ Er wolle nicht „irgendwann am Schreibtisch umfallen“, sondern lieber nochmal studieren „und meine Enkelkinder knutschen“: Solche Rücktrittsankündigungen kennt man von Bremens Bürgermeister Henning Scherf seit fünf Jahren.

… vom Hofe stehlen.“

Er wolle nicht „irgendwann am Schreibtisch umfallen“, sondern lieber nochmal studieren „und meine Enkelkinder knutschen“: Solche Rücktrittsankündigungen kennt man von Bremens Bürgermeister Henning Scherf seit fünf Jahren. Eingelöst hat er sie nie. Erst wollte sich der Sozialdemokrat vor der Bürgerschaftswahl 2003 aufs Altenteil verabschieden. Dann trat er doch wieder als Spitzenkandidat an, versprach aber, etwa 2005 Platz zu machen. Nun gilt auch das nicht mehr: Der 65-Jährige möchte seine Partei in die Wahl 2007 führen und dann irgendwann abdanken. „Ich will mich nicht zu einem schwierigen, komplizierten Zeitpunkt vom Hofe stehlen“, sagt er. Gemeint ist vor allem die Haushaltsnotlage Bremens und die politische Notlage der Bundes-SPD. Aber es mangelt in der Bremer SPD auch an Nachfolgern, die ihm das Wasser reichen könnten. Zudem hat sich sein Stellvertreter Hartmut Perschau kürzlich zurückgezogen, was die Stabilität der Koalition mit der CDU gefährdet.

Scherf stammt aus einer NS-verfolgten Drogistenfamilie und wollte zunächst evangelischer Pastor werden, bis er dann doch lieber Jura studierte und 1978 erstmals Senator wurde. Sich fürs Allgemeinwohl einzusetzen, gehört zu seiner Persönlichkeit. Aber dass er den Ruhestand immer wieder hinausschiebt, hat auch andere Gründe: Das dienstälteste Mitglied einer deutschen Landesregierung kann schwer loslassen. Das Regieren – er hat in 26 Jahren fast alle Senatsressorts durchlaufen – scheint sein zentraler Lebensinhalt geworden zu sein, vor allem seit seiner Wahl zum Regierungschef 1995. Seitdem kann der einstige Polarisierer sein neu entwickeltes Talent als Vermittler ausspielen und hält auf diese Weise die große Koalition zusammen – wobei er gegenüber den eigenen Genossen weniger vermittelnd als selbstherrlich auftritt.

Da hat also jemand seine Rolle gefunden und mag sie kaum noch hergeben. Es sei denn, ein gewichtigeres Amt lockt. Scherf ließ sich zuletzt mehrfach für Aufgaben auf Bundesebene handeln und signalisierte damit, dass er seine Bremer auch im Stich lassen würde. Dieses ständige Hin und Her hat auch eine tragische Seite: Der nach eigener Einschätzung „beliebteste Sozialdemokrat in der Bundesrepublik“ demontiert auf diese Weise seinen guten Ruf, ähnlich wie einst Sachsens Regierungschef Kurt Biedenkopf mit seinem quälend langen Abgang. Scherf wollte es unbedingt anders machen als der Kollege und kratzt jetzt genau wie der am eigenen Denkmal.

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