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Meinung: „Ich wollte als Musikclown …

… zum Zirkus Roncalli gehen.“ Fragt man den Christoph Marthaler, wie er seinen Theaterstil bezeichnen würde, schwankt er zwischen der „Kunst des höheren Blödsinns“ und „mentalem Slowmotion-Slapstick“.

… zum Zirkus Roncalli gehen.“

Fragt man den Christoph Marthaler, wie er seinen Theaterstil bezeichnen würde, schwankt er zwischen der „Kunst des höheren Blödsinns“ und „mentalem Slowmotion-Slapstick“. Keine guten Voraussetzungen dafür, ausgerechnet eine Oper von Richard Wagner zu inszenieren: Keinem Komponisten sind der höhere Blödsinn und die Freuden des Slapsticks so hoffnungslos fremd wie dem Schöpfer garantiert humorfreier Weihestunden des Erhabenen. Dass Marthalers neuer „Tristan“ heute die Bayreuther Festspiele eröffnet, dürfte bei der Wagnergemeinde am Grünen Hügel für Irritationen sorgen. Und für einen neuen Blick auf das bekannte Werk.

Marthalers Figuren fallen gerne in den Halbschlaf und manchmal weiß man nicht, ob sie ihr Leben in den tristen Wartesälen verdämmern oder ob das alles nur ein einziger, langgezogener Katerzustand ist. Spätestens seit Marthaler vor zwölf Jahren zum ersten Mal an der Berliner Volksbühne Regie führte, gilt er als einer der wichtigsten Regisseure des europäischen Theaters. Der Durchbruch kam mit einer Inszenierung, deren Titel so lang wie rätselhaft war: „Murx den Europäer! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn ab!“ Seitdem gibt es im deutschsprachigen Theater neben einigen übrig gebliebenen Marxisten auch viele Murxisten: Süchtige Fans von Marthalers somnambulen Theaterabenden, in denen Melancholie und sanfter Aberwitz, Dada und Abgrund wundersame Allianzen eingehen.

Der Beginn von Marthalers Karriere wirkt so ziellos und antriebsschwach wie seine Bühnengeschöpfe: Nach einem abgebrochenen Musikstudium veranstaltete der Schweizer zu Beginn der 80er Jahre in Zürich absonderliche Musik-Performances – zum Beispiel ein vierundzwanzigstündiges Konzert mit Kompositionen von Erik Satie in einer Apotheke. Diese anarchischen Anfänge sind bis heute in der unverwechselbaren Poesie seiner Inszenierungen zu spüren. „Er ist ein wirklich letzter großer Autonomer“, sagt Frank Castorf über den Regiekollegen. Die Grenzen der Autonomie als Künstler und Mensch bekam der heute 54-jährige Marthaler zu spüren, als er vor fünf Jahren zum ersten Mal auf einem Chefsessel Platz nahm: Als Intendant am Schauspielhaus Zürich scheiterte er am Widerstand lokaler Kleingeister. Seitdem ist er wieder freier Regisseur. Heute in Bayreuth. Und in der kommenden Spielzeit auch an der Berliner Volksbühne.

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