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Meinung: Ihr Untertanen

Die Juden in Deutschland sollten sich endlich vom Mahnmal verabschieden

Henryk M. Broder reagiert in einem offenen Brief an Alexander Brenner auf die gestrige Entscheidung des Kuratoriums der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“, das Holocaust-Mahnmal mit Beteiligung der Firma Degussa zu bauen. Brenner ist Mitglied des Kuratoriums, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlin und Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Lieber Alexander,

schlecht hast du gestern ausgesehen in den Tagesthemen bei Anne Will, richtig schlecht, wie einer, dem an der Tür das Abo für eine Zeitschrift aufgeschwatzt wurde, die er sich freiwillig nie kaufen würde.

Du hast den Tag auf der Sitzung des Kuratoriums für das Mahnmal verbracht und am Ende des Tages war deine Laune dort, wo sonst dein Dienstwagen steht: in der Tiefgarage. Ich kann deine Stimmung gut nachvollziehen, denn Ihr, die Vertreter des Zentralrats, seid wieder einmal über den Tisch gezogen worden, nein, schlimmer: Ihr habt euch über den Tisch ziehen lassen, brav, gehorsam und untertänig.

Das Mahnmal wird weitergebaut, es wird mit Beteiligung der Degussa gebaut, und es hat darüber nicht einmal eine Abstimmung und einen Beschluss im Kuratorium gegeben, nur eine diffuse „Mehrheitsmeinung", die sich durchgesetzt hat. Lea Rosh hat eine Abstimmung verhindert, weil sie es „unerträglich" gefunden hätte, wenn die jüdischen Vertreter im Kuratorium überstimmt worden wären. Man hat euch nicht einmal erlaubt, sich der Stimme zu enthalten, ihr seid behandelt worden wie verhaltensgestörte Kinder, die man schonen muss, und das seid ihr auch, keine Kinder, aber schwer verhaltensgestört.

Inoffiziell, unter der Hand und off records hört man von euch, das Mahnmal sei eine ästhetische Zumutung, es gehe die Juden nichts an, man könne sich nur deswegen nicht dagegen aussprechen, weil der Bundestag sich dafür ausgesprochen hat, am besten wäre es, wenn der Bundestag seinen Beschluss revidieren würde. Aber offiziell, fürs Protokoll, hört man von euch nichts dergleichen. Da druckst ihr rum, ihr seid nicht richtig dafür, aber auch nicht richtig dagegen, ihr produziert Statements wie der Mann, der auf die Frage, wie denn seine Frau im Bett wäre, sagt: „Die einen sagen so, die anderen so."

Aber die Sache ist nicht mehr witzig, sie ist nur noch irre. Eine Firma, die maßgeblich am Judenmord beteiligt war, wird jetzt maßgeblich am Bau des Holocaust-Mahnmals beteiligt. Das mag man für konsequent halten, sozusagen eine Kundgebung deutscher Kontinuität, aber gut finden muss man es nicht. Würde man ohne die Degussa weiterbauen, hieß es aus Kreisen des Kuratoriums, könnte der „Kosten- und Zeitrahmen" nicht eingehalten werden, das heißt, das Mahnmal würde noch teurer werden und der Bau würde noch länger dauern. Ohne Degussa geht eben nix, schon damals waren ihre Zulieferungen konkurrenzlos günstig und garantierten einen reibungslosen, pünktlichen Ablauf.

Sag mal, Alexander, wird es dir nicht übel, wenn du so was hörst? Läuft es dir nicht kalt den Rücken runter, wenn in deinem Beisein erklärt wird, warum man auf die Degussa nicht verzichten kann? Du seist „frustriert", hast du gegenüber Anne Will gesagt. Das ist nicht genug. Du müsstest angeekelt sein und auf den Tisch kotzen. Siehst du nicht die Parallelen zwischem dem Vorgestern und dem Heute und den großen Unterschied, auf den es ankommt? Vorgestern konntet ihr nichts sagen, da hat man einfach über euch verfügt, heute könnt ihr aufstehen, „ohne uns!" rufen und den Raum verlassen. Kann sein, dass so ein Abgang nichts an der Sache ändern würde, aber er würde wenigstens Klarheit herstellen: Die Juden brauchen das Mahnmal nicht, und sie sind nicht bereit, eine Schweinerei für koscher zu erklären. Aber eher bekommt Dieter Bohlen den Literatur-Nobelpreis, als dass ihr euch zu einer solchen Geste bequemen würdet. Dazu seid ihr zu angepasst, zu feige, zu opportunistisch.

Aber was steht eigentlich auf dem Spiel? Die nächste Einladung zu einer Party bei Lea Rosh? Ein Runder Tisch bei Wolfgang Thierse? Eine Happy Hour mit Peter Eisenman, dem Architekten, dem alles recht ist, nur damit sein Monster fertig gestellt wird? Der würde auch noch Heinrich Himmler zur Einweihung des Mahnmals einladen, wenn der noch leben und sich mit seiner Vergangenheit „auseinander gesetzt" hätte, so wie die Degussa es getan hat.

Natürlich ist es eleganter, wenn die nötigen Grausamkeiten gleich zu Anfang begangen werden. Die Juden hätten sich für dieses Projekt nie einspannen lassen dürfen. Aber wer A gesagt hat, muss eben nicht B sagen, Konsequenz ist keine Tugend, sie ist ein Fluch. Das Argument, der Bau des Mahnmals sei schon zu weit gediehen, als dass man jetzt aufhören könnte, entspricht der Logik eines Mannes, der im falschen Zug sitzt, aber nicht aussteigen mag, weil mit jeder Station die Rückreise länger wird. Das Mahnmal mag mal eine ehrenwerte Idee gewesen sein, inzwischen wird es von Station zu Station immer irrer. Es ist nicht machbar, mit oder ohne Degussa. Es setzt nicht nur die Sonderbehandlung der Juden fort, es reproduziert auch die fixe Idee der Nazis: So wie der Holocaust zentral geplant wurde, soll jetzt das Gedenken an den Holocaust zentral verwaltet werden. Und niemand lacht, wenn Peter Eisenman erklärt, mit diesem Mahnmal fange die Diskussion über den Holocaust erst an.

Jetzt, lieber Alexander, musst du die Notbremse ziehen, den Zug anhalten und auf freier Strecke aussteigen. Dann kann der Zug weiter rollen, ohne dich und die anderen Vertreter des Zentralrates, mit Lea und Peter und Wolfgang als Lokführer, Weichensteller und Schaffner, der Endstation entgegen.

Schabbat Schalom, Dein Henryk

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