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Meinung: Ihr Vernichtungswille stammt aus Europa

Terroristen müssen hier bekämpft werden – nicht am Hindukusch Von Michael Wolffsohn

Terror kann man als eine tödliche Krankheit verstehen. Um sie zu therapieren, bedarf es der richtigen Diagnose. Ich fürchte, die deutschen, europäischen und auch amerikanischen Sicherheitskräfte (von den Politikern und Medien ganz zu schweigen) haben sie nicht. Deshalb gibt es derzeit auch keine Therapie.

Gebannt schauen die meisten auf den internationalen Terror, übersehen dabei jedoch die jeweils nationalen, innereuropäischen Dimensionen und Ursachen. Natürlich gibt es den internationalen Terror. Doch besonders die Anschläge von New York, Madrid, London und die Ermordung des Niederländers van Gogh müssen vornehmlich national beziehungsweise innereuropäisch diagnostiziert und therapiert werden. Wer also unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt und die Bundeswehr für vergleichbare Einsätze vorbereitet, gefährdet eben diese Freiheit in Deutschland und Europa.

Ein nüchterner Blick auf die Biografie der beteiligten Terroristen genügt, um die These nachzuvollziehen: Jene „Spitzenterroristen“ wurden in Westeuropa, vornehmlich in Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien, den Niederlanden und, ja, auch in Deutschland und eben nicht in islamisch nahöstlichen Staaten zu Islamismus und Gewalt bekehrt.

Die außernahöstliche, islamische Diaspora ist das „Wasser“, in dem sich die terroristischen „Fische“ bewegen. Das Problem ist die islamische Gemeinschaft in Westeuropa. Da man gerne missverstanden wird: Nicht alle Muslime sind Terroristen, doch derzeit sind die meisten Terroristen Muslime. In den westeuropäischen, auch deutschen Diasporagemeinden wurden diese Muslime gewendet. Hier, nicht in Nahost, Israel oder palästinensischen Flüchtlings- und Elendslagern wurde ihr Vernichtungswille geprägt. Offenbar hat Europa versagt, haben wir versagt, und haben wir diese Menschen so sehr abgestoßen, dass sie „den Westen“, also auch uns, verachten. Nicht auf Israel und Nahost sollten wir anklagend zeigen, sondern selbstkritisch auf uns.

Der islamistische Terror in Europa folgt seinen eigenen Gesetzen, die durch das Etikett des „international-islamistisch“ eher über- als aufgedeckt werden. Die meisten Terrorakteure in Europa sind lange in Europa oder den jeweiligen europäischen Staaten lebende Muslime, meistens Bürger, nicht nur Einwohner, des europäischen Opferstaates. Sie sind zum Teil hier geboren. Die europäisch-islamistischen Terroristen leben weder in ihrer (und ihrer Eltern) Ursprungswelt noch in ihrer neuen europäischen Welt, sondern in Zwischenwelten: je eine islamistisch-nahöstliche und nationalstaatlich-europäische. In beiden Zwischenwelten leben diese Menschen am Rand. Sie sind entfremdet, fühlen sich und sind (nicht unbedingt und keinesfalls automatisch, weil sie Muslime sind) benachteiligt. Vom Rand der Gesellschaft stoßen sie tödlich ins Zentrum Europas.

Das bedeutet: Der europäisch-islamistische Terror ist zugleich ein Alarmzeichen. Es signalisiert uns, wie sehr „wir“ bei der Integration muslimischer Minderheiten versagt haben. Unsere Schuld, deren Schuld, beider? Wie bei jeder Beziehung zwischen Menschen sind für Spannungen meistens beide Seiten verantwortlich. Eine Aussage lässt sich unzweideutig formulieren: Der europäisch-islamistische Terror ist ein vorwiegend innereuropäisches, innenpolitisches Problem und hat mit den USA und Israel rein gar nichts zu tun.

Jeder Terrorakt ist ein Großverbrechen und muss militärisch, polizeilich, geheimdienstlich bekämpft werden. Das entbindet uns nicht der durchaus eigennützigen Pflicht, die Ursachen des Terrorismus politisch zu bekämpfen und zu beseitigen – auch selbstkritisch. Ohne zutreffende Diagnose keine Therapie. Wer bei „Terror“ immer wieder nur „Israel, Armut, und USA“ sagt, verwechselt Medizinmänner mit Medizinern.

Was tun? Weniger Geld an korrupte Eliten in Afrika, mehr Geld für Großstadtsanierungen, für Ausbildung, Arbeitsplätze, Lebensqualität und Integration von Randgruppen in Europa. Den terroristischen „Fischen“ in Europa das Wasser abgraben. Mehr Heimatschutz also als Hindukusch.

Der Autor ist Professor an der Bundeswehr-Universität München.

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