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Hitlervergleich in Kairo: Ikonografische Revolution

Der Hitlervergleich ist, da stets hinkend und inflationär im Gebrauch, eigentlich kein scharfes Schwert mehr. Zu abgedroschen, zu beliebig, ein Totschlagargument. Es kommt aber auf den Kontext an. In der islamischen Welt ist er eine Art Revolution. Ein Kommentar.

Man muss vielleicht noch einmal erzählen, wie das war und oft noch ist, wenn der Reisende in der arabischen Welt – außerhalb der touristischen Zentren und Robinson Clubs – als Deutscher enttarnt ist. Dann gibt es ein großes Hallo und die geradebrechte Auflistung vermeintlich bekannter und vermeintlich beliebter Deutscher. „Mulla“ kommt gewiss vor, man weiß nicht recht, wer gemeint ist. Erst wenn dem „Mulla! Mulla!“ noch ein „Beckebau! Beckebaue!“ angehängt ist, ahnt man, dass mit Mulla! Mulla! zweifellos Gerd Müller, der andere große Sohn des deutschen Fußballs geehrt werden soll. Solch Annäherung per Hand und Fuß gehört zum touristischen Repertoire, ist freundlich gestimmt und könnte auch fröhlich enden, wenn nicht oft/immer noch ein Name fällt, verbunden mit einer kleinen Zuordnung: „Hitler! Hitler! Gutt Mann! Tot Jude!“ Dem Reisenden bleibt in dieser Situation nur betretenes Schweigen. Was sonst? Um den gastfreundlichen Gegenüber argumentativ zu überzeugen, dass Hitler alles andere als gutt Mann war, sondern die Inkarnation des Bösen, mangelt es meist an Sprachkenntnissen. Ihm angemessen eine reinzusemmeln, führt unweigerlich zu unüberschaubaren Komplikationen und wäre auch unhöflich, weil der arme Mann nichts Arges im Sinn hatte, sondern nur ein wenig strahlen wollte mit seinen rudimentären Deutschen-Kenntnissen. Hitler, der Feind des Judentums, in der arabischen Welt wird er dadurch zum Freund.

Nun das in diesen bemerkenswerten Tagen von Kairo: Ein Demonstrant hält das Bild des verhassten und zum Teufel gewünschten Hosni Mubarak in die Höhe. Mubarak mit angemalter Hitler-Tolle und entsprechendem Bärtchen. Mitten in Kairo, in Ägypten, in der islamischen Welt – das ist, mindestens, eine ikonografische Revolution. Vielleicht ist es aber auch ein Fingerzeig auf die Ziele und Wünsche der Demonstranten, auf Ziele und Wünsche des ägyptischen Volkes. Denn der Wunsch nach materiellen westlichen Standards, nach Modeaccessoires, Handys, Laptops und so weiter ist eine Sache. Der Wunsch nach Freiheit und Menschenwürde eine viel größere. Und wenn dieser Wunsch demonstrativ unterstrichen wird mit dem Bild des westlich Bösen schlechthin, dann darf man wohl annehmen, dass es nicht nur gegen eine schlechte Regierungsmannschaft geht. Dieser Hitlervergleich ist ein scharfes Schwert mit starker Aussage.

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