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Meinung: Im Balkanexpress

Zwei Tage, drei Staaten: Der Kanzler hat wenig Zeit für die wichtigste Botschaft

Von Caroline Fetscher

Balkan, das heißt Krise. Südosteuropa ist heute der korrektere Begriff, aber der alte Name klebt – und wird seinem Ruf immer wieder treu. Zum Beispiel, als vor einem guten halben Jahr in Belgrad Attentäter aus der Halbwelt Premier Zoran Djindjic erschossen.

Und doch: Langsam kommt der Fortschritt nach Südosteuropa, so langsam wie ein Baum wächst, so langsam, dass es viele nicht sehen können. In allen Ländern der Region – mit Ausnahme der beiden Übergangsprotektorate Kosovo und Bosnien – gelten inzwischen demokratische Spielregeln. Bald wird das wirtschaftliche Wunderkind Slowenien vollwertiges EU-Mitglied sein. Kroatien, dessen Tourismus wieder boomt, hofft auf einen EU-Beitritt 2007. Serbien-Montenegro ist heute immerhin Mitglied des Europarats, und seine jahrzehntelang verwahrloste, von mafiösen Netzen durchdrungene Wirtschaft wandelt sich zum Besseren. Auch Montenegro taucht wieder in den Katalogen der Reiseveranstalter auf. Überall sind Flüchtlinge zurückgekehrt, eine Million allein nach Bosnien. Die regionale Handelskooperation nimmt in allen Ländern zu.

Ohne Hilfe und Druck von außen allerdings würde der Prozess stocken. Das wissen auch alle, die das nicht zugeben. Oder die das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag als „Einmischung“ ablehnen. Dieselben Kräfte, die sich gegen das internationale Recht wehren, haben nichts gegen internationale Finanzhilfen und Investoren einzuwenden. Sie wissen, sie brauchen sie dringend. Wenn Bundeskanzler Schröder heute und morgen den Balkan bereist, werden er und seine Equipe auf hohe Erwartungen treffen – Erwartungen an Deutschland, den europäischen Nachbarn und reichen EU-Staat.

Als Krisenregion hat der Nahe und Mittlere Osten dem Balkan den Rang abgelaufen. Dennoch dürfen wir nicht vergessen: Noch immer leiden die Staaten des früheren Jugoslawien, auch Serbien-Montenegro und Kroatien, in denen der Kanzler Halt macht, unter den Folgen der Zerfallskriege zwischen 1991 und 1995. Sie erholen sich nur mühsam. Das Kosovo, Schauplatz des letzten Krieges 1999, gehört nominell zu Serbien, wird aber von den UN verwaltet. Und hängt am Tropf der internationalen Gemeinschaft.

Bosnien – das der Kanzler ausspart – lebt seit acht Jahren unter deren Obhut. Der Westen hat dort viel guten Willen gezeigt, aber die katastrophale Wirtschaftspolitik der „Internationals" nicht verhindert. Wirklich gut und multiethnisch, erklären kenntnisreiche Bosnier, funktioniere bei ihnen vor allem die organisierte Kriminalität. Offiziell sind bis zu 60 Prozent der Menschen ohne Arbeit, Arbeitgeber tendieren dazu, zunächst Angehörige ihrer ethnischen Gruppe mit Jobs zu versorgen. Das wiederum erzeugt jene Bitterkeit, die nationalistischen Parteien Wähler in die Arme treibt. Vier Fünftel der 250 000 Kriegstoten waren Bosnier. Große Teile des Landes leben noch im posttraumatischen Schock. Aber ausgerechnet Bosnien wird von der internationalen Politik derzeit vernachlässigt.

All diese Länder brauchen jetzt vor allem ein Klima, das Investoren Mut und Hoffnung macht. Der Kanzler kann deutlich machen: Finanzhilfe fließt nur, wenn sich der Rechtsstaat festigt und die Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal verlässlich funktioniert. Doch wenn Investitionen ausbleiben, wird das Beste blockiert: die Hoffnung auf eine Zukunft, in der die Balkanländer mit Europas Staaten, aber auch untereinander dynamisch Handel treiben.

Die Länder, die nach den jugoslawischen Zerfallskriegen entstanden, sind keine PariaStaaten mehr. Aber der Westen muss all diesen Schwellenländern weiterhin bewusst machen, dass sie sich selbst schaden, wo immer sie reaktionären, nationalistischen Cliquen noch Spielraum geben.

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