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Meinung: Im Fluge

Wenn die Vogelgrippe auf den Menschen überspringt, stellt sie Sars und Ebola in den Schatten

Von Alexander S. Kekulé WAS WISSEN SCHAFFT

Schon wieder ein HorrorVirus in Fernost! Gerade war es das schreckliche Sars, jetzt die furchtbare Vogelgrippe – fast könnte man einen Propagandafeldzug der Virusforscher vermuten, die hier zu Lande unter knappen Finanzen und fehlenden Sicherheitslaboren darben. Doch die Lage ist tatsächlich ernst: Wenn die Vogelgrippe auf den Menschen überspringt, stellt sie von Rinderwahn über Ebola und Anthrax bis Sars alle Bedrohungen der letzten Jahre in den Schatten.

Das aktuelle Vogel-Influenzavirus H5N1 ist für die Virologen kein Unbekannter. Bereits 1997 verursachte es in Hongkong eine verheerende Epidemie unter Hühnern, die auch sechs Menschen das Leben kostete. Im Februar 2003 tauchte H5N1 noch einmal auf, diesmal hatte sich eine Familie in Südchina infiziert. Als kurz darauf durchsickerte, dass in derselben Region eine mysteriöse Atemwegsinfektion ausgebrochen war, schlug die Weltgesundheitsorganisation panisch Alarm. Doch schon bald war klar, dass es nicht Influenza, sondern „nur“ eine neue Erkrankung namens Sars war – die Virologen der Welt atmeten heimlich auf. Die Eindämmung von Sars war für sie ein Manöver, ein Ausbruch der Influenza wäre Krieg.

Bis gestern wurden in Vietnam und Thailand zehn menschliche Erkrankungen – acht davon tödlich – durch H5N1 bestätigt. Angesichts Millionen infizierter Hühner in mindestens acht asiatischen Ländern sind die Übertragungen auf den Menschen extreme Ausnahmen. Angesteckt haben sich fast ausnahmslos Kinder, die wohl beim Spielen große Mengen getrockneten Hühnerkot eingeatmet haben. Weil ihr Immunsystem noch nicht trainiert ist, kann sich das Vogelvirus dann ausnahmsweise in einem Wirt vermehren, an den es eigentlich nicht angepasst ist. Von Mensch zu Mensch springen kann der Erreger bisher nicht. Das kann sich jedoch schlagartig ändern, wenn das Vogelvirus H5N1 seine Erbinformation mit einem menschlichen Influenzavirus vermischt. Für die dazu notwendige Doppelinfektion herrschen derzeit ideale Bedingungen, da in Südostasien Grippesaison ist.

Der Sars-Erreger konnte nur durch den Verzehr von infizierten Wildtieren ausnahmsweise auf den Menschen überspringen, der Ausflug war für ihn eine Sackgasse. Dagegen gehört für Influenzaviren der Wirtswechsel zum täglichen Leben wie für Großstädter das Umsteigen mit dem Bus. Ihr natürliches Zuhause sind asiatische Zugvögel, mit denen sie sich über Tausende von Kilometern verbreiten – als Gegenleistung lassen sie ihre Transporteure normalerweise am Leben. Beunruhigend an der aktuellen H5N1-Variante ist deshalb, dass sie sich nicht nur besonders schnell und tödlich unter Hühnern ausbreitet, sondern sogar die Zugvögel dahinrafft. Darüber hinaus ist der gegen das H5N1-Virus von 1997 hergestellte Impfstoff wirkungslos.

Die auf Hochtouren laufende Entwicklung eines neuen Impfstoffs könnte ein Wettlauf auf Leben und Tod werden, wenn das Killervirus auf den Menschen überspringt. Daran beteiligt sind vor allem Speziallabore in den USA und Großbritannien. Deutschland müsste im Ernstfall auf Rettung aus dem Ausland hoffen.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Halle. Foto: Jaqueline Peyer

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