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Meinung: Im Gesetz

WO IST GOTT Über Gott habe ich mir noch nicht den Kopf zerbrochen. Er existiert für mich, seit ich vier Jahre alt bin.

WO IST GOTT

Über Gott habe ich mir noch nicht den Kopf zerbrochen. Er existiert für mich, seit ich vier Jahre alt bin. Damals, vor einem halben Jahrhundert, brachte mir mein Vater ein Kindergebet bei, Jakobs Segen an seine Enkel Ephraim und Menasche: „Der Engel, der mich aus allen Übeln erlöste, segne die Knaben…" (Genesis 48, 16).

Gott blieb, ähnlich meinem Vater, immer für mich ansprechbar. Mein Vater Ludwig hat mir nie geschildert, wie Gott aussieht. Wichtig war allein, was Gott uns gebot.

„Du sollst dir kein Bildnis machen…", das zeugt von unendlicher Weisheit. Wir sollen uns nicht anmaßen, Gottes Wesen zu ergründen. Daher hat die Theologie im traditionellen Judentum keinen Platz.

Im Mittelpunkt des Judentums steht das Gesetz. Der Glaube ist inhärent. „Ich bin der Herr, dein Gott." Wer dieses erste Gebot befolgt, muss sich um seinen Glauben nicht weiter scheren. Man hat „lediglich" weitere 612 Gesetze zu befolgen. Sie regeln unser Leben.

Mir fehlt die Stärke, alle Vorschriften einzuhalten. Entscheidend ist der Sinneskern. Er lautet schlicht: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst." Das Gebot zeigt uns, dass wir Menschen im Zentrum des Glaubens stehen. Wir tragen die Verantwortung für unsere Nächsten. Ohne Eigenliebe ist es unmöglich, andere zu lieben und zu verstehen.

Das Gebot der Nächstenliebe ist grenzenlos. Es heißt nicht: Liebe nur Juden, Deutsche, Frauen… Da dieses Gottesgesetz allen monotheistischen Religionen gilt, kann es nur bedeuten, versöhnt euch, liebt euch. Eine Rechtfertigung für Hass und Verbrechen gibt es nicht. Das Gebot „Du sollst nicht morden!" gilt uneingeschränkt für alle Menschen.

Gegenüber Theologen bin ich misstrauisch! Ich brauche niemanden, der mir erklärt, weshalb ich Menschen „im n Gottes" hassen oder gar töten soll. Ich kann nicht verstehen, wie Priester im Namen des Herren, der Nächstenliebe und der Gewaltlosigkeit Soldaten segnen, die in Hass- und Eroberungskriege ziehen.

Ich bin kein Pazifist. Es muss erlaubt sein, sich gegen Hitler und seinesgleichen und deren Schergen auch mit Gewalt zu wehren.

Trotz meines Glaubens hadere ich oft mit Gott. Warum gibt er uns, seinen Ebenbildern, nicht mehr Liebe und Einsicht? Warum lässt er Mörder triumphieren? Weshalb lässt er unendliches Leid durch Krankheit und Hunger zu?

Ich kenne keine Antwort. Nur Heuchler geben vor, sie zu haben. Trost finde ich bei Gott. Das ist nicht logisch. Aber es hilft.

Der Autor ist Schriftsteller und Publizist und lebt in Berlin.

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