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Meinung: Im Körper des Feindes

Warum der Staat den Menschen nicht zum bloßen Organlieferanten machen darf

Schweigen ist Gold, heißt es in einem Sprichwort. Künftig könnte sich das auch auf Transplantationsmediziner und deren Patienten beziehen. Für alle anderen soll das Schweigen darüber, was einmal mit ihrem toten Körper geschehen soll, nämlich keineswegs mehr folgenlos bleiben. Sie wären – folgt der Gesetzgeber dem Nationalen Ethikrat – nach ihrem Ableben automatisch potenzielle Organlieferanten.

Bisher galt anderes in Deutschland als ethisch vertretbar. Einem Toten, so steht es im Transplantationsgesetz, dürfen nur dann Organe entnommen werden, wenn er sich zu Lebzeiten damit einverstanden erklärt hat – beziehungsweise wenn die Angehörigen des Toten der Organentnahme ausdrücklich zustimmen. Der Ethikrat empfiehlt nun, die Erklärungslast umzudrehen. Wer nicht widerspricht, obwohl man ihn auf die Folgen seines Schweigens hingewiesen hat, gilt dann als einverstanden – außer wenn die Verwandten nach dem Exitus ausdrücklich ihr Veto einlegen.

Das Ganze ist, keine Frage, eine Empfehlung aus der Not heraus. Und es ist auch die Antwort auf eine gewisse Schizophrenie: Eine klare Mehrheit der Deutschen befürwortet Organspenden. Aber nur eine klare Minderheit erklärt sich dazu persönlich bereit. Weil Spenderorgane fehlen, sterben hierzulande pro Jahr rund 1000 Menschen. Und das Leid der vielen, die auf den Wartelisten stehen, ist kaum zu ermessen. Es muss ein fürchterlicher Gedanke sein, dass das lebensrettende Organ nur deshalb nicht da ist, weil die schweigende Mehrheit bislang bloß die Zeit und die Motivation nicht gefunden hat, sich einen Spenderausweis zu besorgen. Weil sich, was natürlich auch dahintersteckt, Gesunde eben nicht so gern mit ihrer eigenen Vergänglichkeit befassen.

Doch das sind Vermutungen. Und Ethik aus der Not heraus ist immer problematisch. Der dringliche Wunsch, Leben zu retten oder Leid zu mindern, rechtfertigt nicht ohne weiteres einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht anderer. Ebenso wenig der Anspruch, allen den gleichen Zugang zu lebensrettenden und -verlängernden Gesundheitsleistungen zu ermöglichen. Zur Selbstbestimmung des Menschen gehört auch das Recht, sich mit bestimmten Fragen nicht beschäftigen beziehungsweise sich dazu nicht äußern zu müssen.

Allen Kulturen der Welt ist der Respekt vor Toten heilig. Oft ist er geradezu ein kultureller Gradmesser. Und bei aller Säkularisierung: Wer den Leib nicht als seelenlose Hülle betrachtet, hat Anspruch auf äußerste Sensibilität. Die Einheit toter Körper über die Rettung eines Menschenlebens zu stellen, mag man für sich selber als widersinnig empfinden. Automatisch auf alle Unentschlossene übertragen darf man diesen Wertmaßstab nicht.

Das heißt nicht, dass nichts geschehen muss. In jeder zweiten Klinik, in denen Organe entnommen werden könnten, interessiert sich keiner dafür. Der Grund: Arbeitsüberlastung, Personalmangel. Die Ärzte scheuen den bürokratischen und medizinischen Aufwand. Und sie müssen befürchten, auf einem Teil der Kosten sitzen zu bleiben. Das ist der eigentliche Skandal.

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