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Meinung: Im Museum der großen Geister

Physik, Chemie, Medizin – die Nobelpreise gehen in die USA. Und wo bleibt Europa?

Archimedes und Galileo, Newton und Darwin, Planck und Einstein – Europa darf sich mit Fug und Recht die Wiege der Wissenschaft nennen. Die Forscher Europas haben mit Neugier, Experimentierlust und intellektueller Brillanz unser modernes Weltbild geschaffen. Aber dieses Gesamtkunstwerk europäischer Aufklärung und Rationalität könnte bald ein Museumsstück werden. Wer sich die Empfänger der diesjährigen naturwissenschaftlichen Nobelpreise anschaut, den beschleicht der Verdacht, dass sich die großen Geister mittlerweile in die USA verabschiedet haben.

Physik, Chemie, Medizin – in allen drei Disziplinen haben in diesem Jahr US-Amerikaner das Rennen gemacht. Sie sitzen in Stanford (zwei), Berkeley oder anderswo. Und es ist bittere Ironie, dass der einzige Deutsche, der auch für den Medizinnobelpreis in Frage gekommen war, seiner Heimat den Rücken gekehrt hat und an der New Yorker Rockefeller-Universität forscht. Hier kann er zwanglos in der Mensa mit Nobelpreisträgern über seine wissenschaftlichen Probleme oder auch über Gott und die Welt plaudern.

Natürlich ist der Nobelpreis nicht alles. Er wird nur in wenigen Disziplinen vergeben, belohnt vor allem die Grundlagenforschung und ehrt oft Forscher, deren größte Erkenntnisse viele Jahre zurückliegen. Aber für wissenschaftliche Spitzenleistungen sind die Nobelpreise ein wichtiger Maßstab. Das gilt in diesem Jahr ganz besonders. Denn die vom schwedischen Nobelkomitee vergebenen Ehrungen drehen sich um wichtige Entdeckungen aus der letzten Zeit, und im Fall des Medizinpreises gibt es nahe liegende kommerzielle Anwendungen.

Die Botschaft aus Stockholm ist klar: Will unser Kontinent im Wettlauf um neue Erkenntnisse mithalten, muss er mehr tun, sehr viel mehr. Natürlich gibt es noch immer Spitzenuniversitäten in Europa, im Schanghai-Ranking der besten Hochschulen für 2006 finden sich mit Cambridge (Platz zwei) und Oxford (Platz zehn) sogar zwei unter den Top Ten. Aber das sind Ausnahmen. Die erste deutschsprachige ist die ETH Zürich – auf Platz 27. Auf den ersten 30 Plätzen sind 22 US-Hochschulen. Wer da kontern will, braucht drei Dinge: Geist, Geld und Elan.

Schon beim Ersten hapert es in der EU-Forschungsförderung. Die war bisher eher am „Breitensport“ statt an Spitzenleistungen orientiert. Wer Geld für seine wissenschaftliche Arbeit von der EU bekommen wollte, musste vor allem politische Auflagen befolgen und zum Beispiel unbekanntere Wissenschaftler in einem EU-Verbund mitfördern, wie der Schweizer Nobelpreisträger Rolf Zinkernagel klagt. Das war sozial von der EU gedacht, aber eben nicht an dem Maßstab gemessen, der einzig in der Wissenschaft zählt: Qualität.

Allerdings hat das Umdenken begonnen. Im kommenden Jahr wird der EU-Forschungsrat an den Start gehen. Er soll nur die Besten der Besten fördern. Die Forscher selbst sollen entscheiden können, wer von ihnen Geld bekommt, weitgehend unabhängig von politischer Einflussnahme.

Punkt zwei: die Finanzen. Der EU-Forschungsrat soll jedes Jahr 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung haben. Das ist eine Stange Geld – aber relativ wenig verglichen mit dem Forschungsetat der USA. Der lag 2005 bei 130 Milliarden Dollar. Die Amerikaner lassen sich Wissenschaft etwas kosten. Und das zahlt sich am Ende aus.

Vielleicht noch wichtiger ist aber das Bewusstsein. Wissenschaft und Forschung gehören ins Zentrum des europäischen Denkens. Das Gesamtkunstwerk darf nicht ins Museum.

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