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Meinung: Im Reich des wilden Wachstums

Chinas überhitzte Wirtschaft gefährdet die Erholung der Weltkonjunktur

Wahrscheinlich ist es ehrliche Bestürzung, was Michael Sommer bewegt, wenn er an China denkt. Der Gewerkschaftsboss hat ein paar Tage in China verbracht – und die Reise ins derzeit ökonomisch dynamischste Land der Welt hat ihn einiges gelehrt. Mit denen, so berichtete er in der Heimat entsetzt, können wir nicht konkurrieren. Da müsse man doch als deutscher Gewerkschaftschef vieles überdenken, was man bisher für unumstößlich gehalten habe. Aber, so fügte der Mann dann doch ein bisschen fröhlicher hinzu, auf den Fortbestand der fiesen Kombination von Raubtierkapitalismus und Diktatur in China solle lieber kein westlicher Unternehmer bauen, der im Augenblick überlege, Arbeitsplätze zu verlagern und in China zu investieren. Die Sache werde zusammenbrechen, bevor man als Kapitalist dort ein Vermögen machen könne.

Die Aussichten für Sommers Vision vom schnellen Ende des chinesischen Wirtschaftswunders stehen 50 zu 50. Gesund ist es jedenfalls nicht, was im Augenblick in Chinas Ökonomie passiert, da sind sich alle einig. Die Wirtschaft des Landes wächst atemberaubend schnell, Experten schätzen das Wachstum auf deutlich über zehn Prozent. China hat, so der britische „Economist“, im vergangenen Jahr 40 Prozent des Zements gekauft, der auf der ganzen Welt produziert wird. Es sog ein Drittel des Zuwachses des Weltölverbrauchs auf. Der Hunger Chinas ist Schuld an den Höchstpreisen, die zurzeit für Stahl und Kupfer bezahlt werden. Das Comeback der japanischen Wirtschaft geht zu einem guten Teil auf die Nachfrage aus China zurück.

Bricht der Boom in China zusammen – diese Gefahr besteht in der Tat – wird die Weltwirtschaft schwer in Mitleidenschaft gezogen. Zuerst die asiatischen Nachbarländer, dann die USA und schließlich auch Europa. Kein Grund zur Freude also für die Arbeitnehmervertreter in Deutschland, die Arbeitsplatzverlagerung und Niedriglöhne fürchten, im Gegenteil. Eine harte Landung in China würde das Wachstum der Weltwirtschaft jedenfalls vorübergehend drastisch bremsen.

Doch so weit muss es gar nicht kommen. Denn auch die chinesische Regierung hat erkannt, dass die Wirtschaft zu schnell wächst – und versucht zu bremsen. Das ist in einer unübersichtlichen Volkwirtschaft wie China noch schwieriger als in den hoch entwickelten Industrieländern, wo Notenbanken zu schnelles Wachstum normalerweise mit Zinserhöhungen zu bremsen versuchen.

Die Höhe der Zinsen spielt aber angesichts der Goldgräberstimmung in China kaum eine Rolle, wenn Investoren Geld für Projekte suchen. Auch eine Aufwertung der chinesischen Währung könnte verpuffen. Stattdessen versucht der Staat, die Geldversorgung kleinerer Banken zurückzufahren, um ungebremste Kreditvergabe zu verhindern. Außerdem mussten alle Geldhäuser ihre Geldreserven erhöhen – was die Kredite auch wieder verknappt. Zudem versucht die Regierung, die Inflation unter Kontrolle zu bekommen – auch, indem sie den Preisanstieg per Weisung bremst.

Trotzdem aber grassiert in Asien die Angst vor einer neuen Krise – wie 1994, als alle Hoffnungen auf die Konjunktur der asiatischen Tigerländer in wenigen Monaten zusammenbrachen. Übrig blieben Überinvestment, Überkapazitäten und ein paar harte Jahre, bis die Asienkrise überwunden war. Das würde auch bei China passieren. Denn: Selbst eine Krise würde die langfristig positive Entwicklung des Landes nur aufhalten, nicht aber beenden. Die Industriestaaten wären ihre Probleme also keineswegs los, sie bekämen nur ein wenig Aufschub: China würde innerhalb kurzer Zeit wieder als Rohstoffkäufer auf den Weltmärkten auftreten und dort das eingeführte Preisgefüge durcheinander bringen. Das Land würde sich schnell wieder um ausländische Investitionen – und Arbeitsplätze – bewerben.

Das sollte sich auch Herr Sommer klar machen, wenn er ganz heimlich darauf hofft, dass Chinas Investoren in die Krise rutschen. Die wäre nur eine Gnadenfrist.

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