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Meinung: Im Stasi-Knast

Von Hubertus Knabe WO IST GOTT? Unwillig schiebt sich das schwere Eisentor zur Seite.

Von Hubertus Knabe

WO IST GOTT?

Unwillig schiebt sich das schwere Eisentor zur Seite. Dahinter versperrt ein zweites Gitter den Weg. Hier, in der Schleuse des StasiGefängnisses Berlin-Hohenschönhausen, machten die Gefangenentransporter zum ersten Mal Halt, wenn der Staatssicherheitsdienst der DDR Menschen in Haft nahm.

Bis zum Ende der SED-Diktatur gab es nur wenige Orte in Berlin, wo sich Menschen so einsam und verloren fühlten wie im Gefängnis von Hohenschönhausen. Die Häftlinge wurden bewusst in Unwissenheit darüber gelassen, wo sie sich befanden. Niemand sprach mit ihnen während des sich dahinschleppenden Tages. Tagsüber war es ihnen verboten, sich auf der Pritsche hinzulegen. Sechs Schritte hin, sechs Schritte zurück, darauf beschränkte sich ihr Leben – bis sie reif waren für den Prozess. Kein Gott half den Häftlingen, hier herauszukommen. Sie waren ohne jeden Kontakt zur Außenwelt. Am Ende verlangten die Gefangenen selbst danach, zum Verhör geführt zu werden, weil sie die Einsamkeit nicht mehr aushielten.

Nur wenige Kilometer weiter brauste derweil das Leben: Touristen schlenderten über den Ku’damm, Achtundsechziger erledigten ihren Wochenendeinkauf auf dem Winterfeldtmarkt. In der Evangelischen Akademie diskutierte man über die Vorzüge des sozialistischen Systems, während der Regierende Bürgermeister danach drängte, vom SED- Chef empfangen zu werden. Wer in dieser Zeit an Hohenschönhausen erinnerte, galt als unbelehrbarer Kalter Krieger.

Nach der friedlichen Revolution 1989 kamen die politischen Gefangenen nach und nach frei. Am Tag der Wiedervereinigung wurde das Gefängnis dann für immer geschlossen. Doch von den Verantwortlichen, die sie hineingebracht hatten, wurde niemand zur Rechenschaft gezogen. Erst recht nicht von denen, die nur weggeschaut oder mit den SED-Größen Geschäfte gemacht hatten.

Die Häftlinge erhielten für jeden Monat im Gefängnis 600 Mark Entschädigung, und auch das erst nach langen politischen Kämpfen. Manche fühlten sich danach freilich noch einsamer als in der Zelle, weil ihre Unterdrücker mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik auf einmal genau so gute Staatsbürger geworden waren wie sie. Während die Funktionäre ihren Lebensabend genossen, standen die einstigen Häftlinge oft mit leeren Händen da. Die Hoffnung auf Gerechtigkeit stellte sich als Illusion heraus – oder doch nicht?

Im Stasi-Gefängnis bedienen heute andere den grünen Knopf, mit dem das schwere Eisentor in Bewegung gesetzt wird. Die Untersuchungshaftanstalt ist inzwischen eine Gedenkstätte. Ehemalige Häftlinge führen scharenweise Besucher durch die kahlen Flure des Zellentrakts und erzählen von den langen, schlaflosen Nächten und den zermürbenden Kämpfen um die Formulierungen im Verhörprotokoll. Manche fühlen sich an ein Konzentrationslager erinnert.

Über 100 000 Besucher haben das Gefängnis im vergangenen Jahr besichtigt – wenigstens diese Genugtuung hat Gott den Häftlingen von Hohenschönhausen gegeben.

Der Autor ist wissenschaftlicher Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen.

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