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Im WORT laut: Ein deutsches Dilemma

Der Philosoph und Bestsellerautor Richard David Precht wundert sich im "Spiegel", dass die Deutschen auf der Suche nach den öffentlichen Denkern immer auf die Dichter kommen.

Doch es gibt eine Crux, ein deutsches Dilemma: Es ist der Glaube, dass ausgerechnet Schriftsteller, Dichter und Literaten die Vorzeigeintellektuellen einer Nation sind. Kein anderes europäisches Land macht einen solchen Kult um Leute, die Romane schreiben, wie die Deutschen. Der Grund dafür ist so einsichtig wie überholt. Waren nach 1945 die deutschen Denker im Exil oder moralisch diskreditiert wie Martin Heidegger, Arnold Gehlen und Carl Schmitt, so blieben offensichtlich nur noch die Dichter übrig. Indes: Philosophen, wenn sie politisch entschieden sind, sind gefährlich. Literaten hingegen bellen, statt zu beißen; sie tun nichts und wollen nur spielen.

Die Idee, intellektuelle Meinungsbildung und moralisches Vorleuchten ausgerechnet von Dichtern zu erwarten, ist also ein Erbe der jüngeren deutschen Geschichte. Doch eine schöne Sprache, ein unermesslicher Vorrat an Fantasie und Fabulierlust machen noch keinen Intellektuellen. Literaten per se für schlau zu halten ist wie Schauspieler oder Sportler in eine Talkshow einzuladen, damit sie etwas Kluges sagen.

Um es unmissverständlich zu sagen: Selbstverständlich gibt es philosophisch reflektierte und politisch intelligente Dichter. Aber man muss keinen scharfen Blick auf die Zeitläufte haben, um dichten zu können. Großschriftsteller wie Thomas Mann oder Knut Hamsun belehren darüber. Und vielleicht war sogar tatsächlich etwas dran, als die Preußische Akademie der Künste in den dreißiger Jahren den Schriftsteller Robert Musil, der ein großer Intellektueller war, als Mitglied ablehnte, weil er für einen Dichter zu intelligent sei.

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