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Im Wortlaut: Peter Sloterdijk: „Ausschaltung des Bürgers als Beruf“

In einem Essay für den „Spiegel“ befasst sich der Philosoph Peter Sloterdijk mit dem bürgerlichen Aufbegehren gegen Großprojekte wie „Stuttgart 21“ und der wachsenden Entfremdung zwischen Politik und Volk

„Bemerkenswerterweise war ein wichtiger Teil der manchmal seriösen Presse bereit, sich in die bedrängte politische Klasse einzufühlen: ,Wutbürger’ nannte man jüngst die neuen Protestierer – was eine kluge Prägung gewesen wäre, hätte sie die Erinnerung an den ursprünglichen Zusammenhang von Empörung und Republik beschworen. Leider diente sie im aktuellen Gebrauch nur dazu, die lästigen Dissidenzfliegen zu verscheuchen. Man sieht jedenfalls: Manche Journalisten wissen, wie sie das Ihre zum Werk der Bürgerausschaltung beitragen können.

Mit Schlagstöcken und Tränengas antwortete die verschreckte Kaste auf resolute Argumentierer aus dem Volk, die Unstimmiges in den Plänen für den neuen Stuttgarter Bahnhof entdeckt hatten. Mit der Einleitung eines Parteiausschlussverfahrens reagierte die altehrwürdige SPD auf ein bewährt robustes Mitglied, das unter Aufbietung ausführlicher Beweise Unstimmiges in der deutschen Zuwanderungspolitik aufdeckte – und dabei Tatsachen vortrug, die ohne genetische Begründungsversuche solider dastehen als mit diesen. Beide Male hieß es, man habe sich die notwendigen Reaktionen, das Zuschlagen und das Ausschließen, nicht leichtgemacht. Bürgerausschaltung als Beruf – das ist gelegentlich noch härter als das übliche Bohren von harten Brettern.

Auf breiter Front sieht man dieselben Bunkerreflexe gegen die Störung der Routinen, dasselbe Unbehagen an der Wortergreifung der Unberufenen, dieselbe Verwechslung von Verstopfung mit Charakterfestigkeit.“

Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ hat Arye Shalicar interviewt, den iranischen Juden, der unter Muslimen in Berlin aufwuchs und heute Pressesprecher der israelischen Armee ist.

„Man kann nicht von einer einzigen muslimischen Parallelgesellschaft sprechen. Türke ist nicht gleich Araber, und Araber ist nicht gleich Albaner. Für Außenstehende sehen sie jedoch fast gleich aus, benehmen sich ähnlich und leben zusammen im Kiez. Auch ich war für Außenstehende entweder Türke oder Araber. Es gibt jedoch sehr viele Abstufungen. Ein Großteil der Muslime, ob Türken, Pakistaner, Libanesen oder Palästinenser, sitzt zwischen den Stühlen und hat eine Art Identitätskrise. So gibt es in Bezirken wie Wedding eigentlich mehrere Parallelgesellschaften (...). Es kam sehr selten vor, dass Araber und Türken, zwei Mehrheiten innerhalb der muslimischen Parallelwelt, miteinander befreundet waren. Auch Palästinenser und Libanesen oder Türken und Kurden können einander oft nicht ausstehen. Obwohl sie alle Muslime sind.“

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