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Meinung: Im Zweifel

Von Klaus Mertes WO IST GOTT? Gott ist in den Zweifeln.

Von Klaus Mertes

WO IST GOTT?

Gott ist in den Zweifeln. Nicht einfach in allen Zweifeln. Aber durchaus in den Zweifeln, die dieser Krieg auslöst. Auf allen Seiten. Grundsätzliche Zweifel, gravierende Infragestellungen, die sich nicht nur an die anderen richten, sondern an mich – an meine bisherigen Überzeugungen, an meine Ansprüche ans Leben (und was sie andere kosten), an mein Verhältnis zu den Medien, an mein Verhältnis zu Gewalt und Ausgrenzung, an mein mitteleuropäisches Sicherheitsgefühl, an unseren politischen Diskurs, an unseren religiösen Diskurs.

Eine alte Geschichte erzählt von der Begegnung des Mose mit dem brennenden Dornbusch. Der Dornbusch ist kratzig. Gott begegnet mir in etwas, das mich stört; etwas, das mich ablenkt; das ich weghaben will. Eine Unsicherheit, eine Frage, ein Zweifel eben. An der Lästigkeit des Zweifels erkenne ich, dass die Initiative nicht von mir ausgeht. Ich begegne durch diesen Krieg in meinem Inneren etwas, dass ich aus eigenem Willen gar nicht wahrhaben will; etwas stört mich auf, das ich lieber nicht zur Kenntnis nehmen möchte. Ich begegne dem Heiligen in mir, dem Gespür für die Würde des anderen Menschen, dem Instrumentalisierungsverbot, der Achtung vor dem Recht, dem Wirklichkeitsprinzip – nicht aus eigenem Willen, sondern geradezu gegen meinen Willen.

Ich muss etwas bei mir verändern, wenn ich mich dem Heiligen nähere. Der Ruf aus dem Dornbusch lautet: „Ziehe Deine Schuhe aus" (Ex 3,12). Die Sohle schützt mich vor der Berührung mit dem Boden – vor den dornigen Pflanzen, dem glimmenden Feuer, den nagenden Zweifeln. Schuhe auszuziehen bedeutet, sich berührbar zu machen; ablegen, was mich an der direkten Berührung hindert. Fernseher ausschalten; selbst denken; sich dem Fremden in meiner Welt öffnen; Dinge tun, die ich früher belächelt habe; Reichtum abgeben. Die Frucht von solchem SchuheAusziehen ist neue Begegnung mit Gott; Zuversicht, dass die Verheißungen stimmen, die Gott von jeher an die „Um-Kehr", an das „Um-Denken", an die meta-noia (Mk 1,15) gebunden hat. Für das Leben vor dem Tod.

In Zeiten des Krieges begegnet mir Gott in den Zweifeln. Die Fundamentalisten, die immer genau über Gott Bescheid wissen, lesen in diesem Satz Gottes Plan: Gott schickt den Krieg, um die Menschen aufzurütteln. Das ist natürlich blanker Zynismus, genauso zynisch wie die neunmalklugen Zyniker, die über den Krieg wie über ein Naturereignis sprechen, so als gehöre er in regelmäßigen Abständen zum Menschsein dazu. Gott begegnet uns aber auch im Zweifel an diesem Zynismus. Schließlich ist der Zynismus auch nichts anderes als eine Sohle, mit der man sich vor Gott schützt.

Der nagende Zweifel, in dem sich Gott in Zeiten des Krieges auf allen Seiten zu Wort meldet, ist stärker als die Sohlen. Da kommt etwas Typisches für Gott zum Vorschein: Er/Sie ist ein leises Wort, das lauter ist als der Lärm der ganzen Welt. Und er führt mit dem leisen, nagenden, nicht totzuschweigenden Zweifel Menschen zusammen, von allen Seiten. Auch daran erkennt man Gott. Er eint.

Der Autor ist Pater und Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin.

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