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Meinung: In der Hitze der Macht

Schäubles Absage, Merkels Lage und die Zukunft der Union

Natürlich darf man das so sehen: Wolfgang Schäubles Entscheidung, nicht als wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Unionsfraktion zur Verfügung zu stehen, ist ein weiterer Rückschlag für die angeschlagene Angela Merkel. Der frühere Parteichef hat seiner Nachfolgerin einen Korb gegeben, er will nicht die Nachfolge von Friedrich Merz antreten. Rückschlag, Korb, angeschlagen – das sind Formulierungen, die sich nicht etwa in einer Pressemitteilung der SPD finden, sondern im nüchternen Text der Nachrichtenagentur.

Nimmt man dann noch die Intrigen hinzu, die angeblich von den machtbewussten CDU-Westländerchefs gegen die oberste Chefin aus dem Osten gesponnen werden, könnte einem Angela Merkel fast Leid tun. Fast. Denn Mitleid braucht sie nicht. Zum Ersten, weil, wer in der Küche mitmischen will, Hitze nicht fürchten darf. Was hier abläuft, sind auch Machtspiele in der CDU. Es gibt mehrere, die sich für fähig halten, das zu werden, was Merkel anstrebt – Kanzlerkandidatin der Union. Da ist es nur logisch, von Fall zu Fall zu testen, wie belastbar sie denn ist. Das muss sie, zweitens, aushalten. Sie weiß es auch.

Leicht ist es nicht. Merkel hat keine Hausmacht, hat noch nie in einer Volkswahl eine Mehrheit für ihre Partei oder ein Ministerpräsidentenamt für sich erkämpfen müssen. Sie kennt nicht das Triumphgefühl einer erfolgreich geschlagenen Wahlschlacht. Alles das spricht gegen sie wie die aus altbundesrepublikanischer Sicht falsche Sozialisation. Kinderlos geschieden und wieder verheiratet, evangelisch. Aber ob das wirklich Wähler abschreckt, ist doch sehr die Frage. Das kurvenreiche frühere Privatleben von Gerhard Schröder hat jedenfalls weder im Herbst 1998 noch im September 2002 seine Mehrheit verhindert.

Und da ist noch etwas. Merkel hat einen scharfen Verstand und setzt ihn auch ein. Sie verfügt über einen gesunden Schuss Machiavellismus. Wenn sie merkt, dass die Männer gerade wieder ihre Machtspiele treiben, lässt sie sie spielen. Das ist kein Zeichen von Führungsschwäche, sondern klug. Irgendwann sind alle müde. Dann kann man(n) reden.

Einmal hat sie den Fehler gemacht, sich vorschnell festzulegen. Das war vor einem Jahr, beim Leipziger Parteitag, mit ihren Ideen zur Gesundheitspolitik. Dass Edmund Stoiber, der nicht nur deswegen düpierte, das als offene Rechnung empfand, hängt auch mit seinem von Eitelkeiten nicht ganz freien Selbstbewusstsein zusammen. Aber die CSU nimmt das „sozial“ im Namen sehr ernst, und sie zweifelt, dass Angela Merkel überhaupt interessiert, was sozial ist. Deshalb wird die CSU am Freitag beim gemeinsamen Spitzengespräch in irgendeiner Form durchsetzen, dass Merkels einkommensunabhängige Kopfprämie durch eine Komponente verändert wird, die die finanziellen Verhältnisse des Einzelnen berücksichtigt.

Und Schäuble? Er will außenpolitischer Sprecher bleiben. Dafür gibt es gute Gründe. Würde er rochieren, wäre Friedbert Pflüger sein Nachfolger. Ein sympathischer Mann – aber ein Gegengewicht zum Kanzler und zum Außenminister? Hinzu kommt: Angela Merkel weiß im Moment wirklich nicht genau, wie die künftige Steuerpolitik der Union aussieht. Für etwas Sprecher zu sein, das die Fraktionsvorsitzende selbst nicht definieren kann, ist kein Vergnügen. Sich im Parlament mit Hans Eichel und Wolfgang Clement zu streiten, auch nicht. Gegen Joschka Fischer und Gerhard Schröder die außenpolitischen Grundsätze von CDU und CSU zu formulieren, bleibt hingegen reizvoll und wichtig.

Angela Merkel hat Wolfgang Schäuble gefragt und die Form gewahrt. Wie es sich gehört. Das wirkte nicht notgedrungen, sondern souverän. Fürs Erste. Wenn sich die Merz-Nachfolge bewährt, dann hat die CDU-Chefin dieses Prädikat verdient.

Gerd Appenzeller

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