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Meinung: In die Ausweglosigkeit gebombt Al Qaida kann im besten Fall nur eingedämmt werden

Jetzt herrscht wieder diese seltsame Ruhe. Seit dem vergangenen November, als militante Islamisten mit Kontakten zu Al Qaida in Istanbul gleich vier schwere Anschlägen verübten, hat es jenseits der Dauerkonflikte von Irak bis Afghanistan keinen größeren Terrorangriff gegeben.

Von Frank Jansen

Jetzt herrscht wieder diese seltsame Ruhe. Seit dem vergangenen November, als militante Islamisten mit Kontakten zu Al Qaida in Istanbul gleich vier schwere Anschlägen verübten, hat es jenseits der Dauerkonflikte von Irak bis Afghanistan keinen größeren Terrorangriff gegeben. Doch diese Stille macht nervös. Was planen Al Qaida und die vielen Terrorzellen als nächstes? Wo werden sie wann zuschlagen? Und vor allem: wie? Bei den Sicherheitsbehörden wächst die Sorge, dass einer der nächsten Anschläge die Dimension des 11. September erreichen könnte. Oder sie noch übertrifft, zum Beispiel durch die Explosion einer „schmutzigen Bombe“, einem mit nuklearen Abfällen gespickten Sprengsatz. Die Bedrohung durch den islamistischen Terror habe nie gekannte Dimensionen angenommen, hat Bundesinnenminister Schily am Montag auf dem Polizeikongress in Bonn gesagt. Schon diese Angst vor dem, was da kommen könnte, ist ein Erfolg für Al Qaida.

Dennoch scheint eine makaber-dialektische These möglich: Der islamistische Terror läuft sich tot, stirbt aber nicht. Al Qaida und ihre Ableger produzieren eine Gewalt, die zunehmend autistisch erscheint und sich mit jedem weiteren „Istanbul“ auch in der islamischen Welt schwerer vermitteln lässt – weil sie viele muslimische Opfer in Kauf nimmt, weil sie keinerlei positive Veränderung in den muslimischen Staaten erreicht und damit dem Islamismus, auch dem nicht-militanten, schadet. Daraus Hoffnungen abzuleiten, der Terrorfeldzug käme in absehbarer Zeit zu einem Ende, wäre jedoch illusionär.

In den Milieus des militanten Islamismus zeichnen sich allerdings Bruchlinien ab. Zum Beispiel in Saudi-Arabien. Nachdem Al Qaida im November wieder einen schweren Anschlag in Riad verübt hatte, widerriefen zwei bekannte Prediger ihre Fatwas (islamische Rechtsgutachten), die den Terror legitimierten. In Ägypten hat die Bewegung „Dschamaa Islamija“ jetzt den ersten Erfolg der 1997 verkündeten Abkehr vom bewaffneten Kampf erlebt: Im vergangenen Jahr kamen 1000 reuige Anhänger aus den Gefängnissen frei.

Erste Bruchlinien

Die Wandlung der Dschamaa Islamija ist ein noch stärkeres Signal als der Auftritt der beiden Scheichs im saudischen Fernsehen. Immerhin zählte die Gruppe zu den gefährlichsten im Terrorspektrum: Ihre Mitglieder waren 1981 an der Ermordung des ägyptischen Präsidenten Anwar al Sadat beteiligt, am ersten Anschlag auf das World Trade Center in New York 1993 und vier Jahre später an den brutalen Angriffen auf deutsche und andere Touristen in Kairo und Luxor. Die Mehrheit in der Dschamaa Islamija gab den Terror auf, weil sie der brachialen Repression des ägyptischen Staates nicht gewachsen war – und der erhoffte Volksaufstand ausblieb. Die beiden Beispiele zeigen, dass der islamistische Terror nicht unbesiegbar ist und dass seine Akteure lernfähig sein können.

Die Bruchlinien in den militant islamistischen Spektren in Saudi-Arabien und Ägypten müssten die Herrschenden dort und in den anderen Staaten der islamischen Welt nutzen. Dabei sollte der Westen dezent, aber energisch helfen. Ein Prozess der durchgreifenden Demokratisierung, in den reuige Ex-Gotteskrieger integriert werden, ist langfristig die einzige erfolgversprechende Strategie zur Eindämmung des Terrors. Nur so können Al Qaida die vielen regionalen Tentakel beschnitten werden. Zu befürchten ist allerdings, dass die Regime weiterhin, wenn überhaupt, nur zaghaft reformieren. Und dass sie versuchen, ihre Machtbasis zu zementieren, indem ein Teil der islamistischen Bewegungen mit symbolischer Machtteilhabe oder anderen Vorteilen gekauft wird.

Mehr als eine Eindämmung des Terrors ist allerdings auch in günstigen Szenarien nicht zu erwarten. Selbst wenn es endlich gelingen sollte, Osama bin Laden auszuschalten, blieben genügend Al-Qaida-Kader übrig, die den Kampf weiterführen. Die Kerntruppe hat keine Heimat mehr und kann nirgendwo auf eine Art Aussteigerprogramm hoffen. Diese selbst verschuldete, planmäßig herbeigebombte Ausweglosigkeit stärkt noch die Bereitschaft, sich als Selbstmordattentäter ins Paradies zu verflüchtigen. „Istanbul“ ist jetzt fast drei Monate her. Die momentane Stille wird zunehmend unheimlich.

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