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Hatice Akyün ist Autorin und freie Journalistin. Sie ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause.

© promo

Integration: Unsere Gesellschaft ist viel weiter, als man uns glauben machen will

Unsere Kolumnistin stellt fest: Es gibt viel mehr Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft, die kein Problem mit denen haben, die anders aussehen und deren Vorfahren von woanders herkamen - das lässt sie um einiges gelassener in die Zukunft blicken.

Es ist nicht so, dass, weil man zu einer bestimmten Gruppe gehört, sich alle untereinander ungeheuer lieb haben. Aber man teilt gewisse Ansichten und Schicksale. Ich sage das, weil ich letzte Woche eine Veranstaltung besucht habe. Vermutlich kennen Sie diese Art von Veranstaltungen nicht. Es sind jene, zu denen Migranten eingeladen werden, die über alles, was mit Integration und Migration zu tun hat, einer Meinung sind. Sie beschäftigen sich ehrenamtlich oder hauptberuflich damit, weil komischerweise von den Alteingesessenen selten jemand aktiv Partei für diejenigen ergreift, die vor zwei, drei Generationen nach Deutschland kamen.

Da sitzt man also als Gleichgesinnte unter Gleichgesinnten, um sich Gleichgesinntes anzuhören. Nur dieses Mal war etwas anders. Der Hauptgast, Professor Klaus Bade, ein älterer Herr mit Brille, trug in ruhiger, bedächtiger Art vor und sah keinen Deut anders aus als jene, die durch Talkshows ziehen und den Migranten auferlegen, sich für Bibelverteilungen in Saudi-Arabien einzusetzen, Moscheebesucher unter Generalverdacht stellen, nicht müde werden, uns mit einem Etikett zu versehen und in einen Topf der Rückständigkeit, Demokratieferne und Integrationsverweigerung stecken. Was man ja auch hoffentlich noch sagen dürfen dürfte.

Beeindruckend war, mit welcher Selbstverständlichkeit dieser Professor klar analysierte. Vom Zugewinn und dem Reichtum, der Migration mit sich bringt. Und den Parallelen der extremen Problematisierer aufseiten derjenigen, die sich durch die Angst vor dem Fremden bereichern und denjenigen, die glauben, damit ihre irrationalen Sichtweisen zu legalisieren, weil ihr verqueres Weltbild das Hirn vor Benutzung schont.

In dem Professor ist kein Stück Migrant. Der ist durch und durch Mehrheitsgesellschaft. Mein erster Gedanke war: Der versteht uns, der ist einer von uns. Dann wurde mir klar, wie auch ich in der Falle von „die“ und „uns“ statt „wir“ gefangen bin. Ich ging gedanklich durch meinen Alltag, durch meinen Beruf, durch die Städte und die Ereignisse und fand sie plötzlich überall: Die Nachbarin, die noch nie irgendeine Distanz hat aufkommen lassen, die Kollegen in der Redaktion, die Leute in meinem Verlag, meine Freunde, die Frau beim Bäcker, die Kindergärtnerin meiner Tochter. Für alle diese Menschen zählt, was ist, und nicht das, was sie von außen eingetrichtert bekommen. Diese Menschen haben kein Problem mit denen, die anders aussehen und deren Vorfahren von woanders herkamen. Die sind immun dagegen.

Denen wollte ich heute mal danke sagen. Danke, dass durch sie dieses Land lebenswert ist, danke, dass ihre Entspanntheit es möglich macht, sich zu Hause zu fühlen, und danke, dass man sich durch sie dazugehörig fühlt. Unsere Gesellschaft ist dank dieser Menschen viel weiter, als man es uns glauben machen will. Das bedeutet nicht, die Hände in den Schoß zu legen, aber es erlaubt uns, etwas gelassener nach vorne zu blicken. Oder wie mein Vater sagen würde: „Ayni dili konusanlar degil, ayni duygulari paylasanlar anlasabilir“ – Nicht, wer die gleiche Sprache spricht, wer die gleichen Gefühle teilt, versteht sich.

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