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Internetmobbing: Die Gossiper sind ansprechbar

Die Internetseite "Isharegossip" wirkt wie ein Massenmedium. Schüler, die sich dort gegenseitig mobben, sind sich der Wirkung oft nicht bewusst. Es ist an Politikern und Pädagogen, Internetkompetenz öffentlich besser zu vermitteln. Ein Kommentar.

Von Markus Hesselmann

Ein Mob prügelt einen Jugendlichen bewusstlos. Viele weitere Schülerinnen und Schüler leiden unter Psychoterror und Gewalt. Lehrer lassen sich krankschreiben, weil sie den virtuellen Attacken nicht standhalten. Das sind Berliner Nachrichten der vergangenen Woche. Sie haben mit der Internetseite „Isharegossip“ zu tun, deren Name sich annähernd mit „Ich verbreite Tratsch“ übersetzen lässt. Das hat es schon immer gegeben – Klatsch und Tratsch und Klassenkeile –, sagen die einen. Das ist der Untergang des Abendlandes aus dem Ungeist des Internets, denken und fühlen die anderen. Beides greift zu kurz.

Zunächst ist „Isharegossip“ tatsächlich nur eine Verstärkung althergebrachten Unsinns. Schülerinnen und Schüler sind heute nicht gemeiner als in früheren Generationen. Doch digitale Verstärkung bewirkt eine neue Qualität: Die Einträge im Forum von „Isharegossip“ sind für alle lesbar und sie gehen nicht mehr weg. „Isharegossip“ wirkt wie ein Massenmedium. Einem Opfer muss das vorkommen, als ob eine Kritzelei auf dem Schulklo plötzlich auf Seite eins der Boulevardzeitung steht. Jedes Gossip-Girl, jeder Gossip-Boy ein kleiner Baby Schimmerlos, dessen Gemeinheiten aber nicht die Münchener Schickeria treffen, sondern Cliquen und Klassengemeinschaften in Zehlendorf oder Pankow.

„The age of the inverted self“ nennt der Essayist Adam Gopnik das Internetzeitalter. Das umgekehrte, nach außen gestülpte Ich belagert das Netz. Mit schnellem Tippen auf der Tastatur eines Smartphones oder eines Laptops können wir Wirkungen erzielen, die für andere Menschen verheerend sind. Eine Schülerin, die der Tagesspiegel befragt hat, bringt es so auf den Punkt: „,Isharegossip‘ gibt nun jedem die Möglichkeit, mal den Teufel raushängen zu lassen.“

Jetzt hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien „Isharegossip“ indiziert. Mit solchen Schritten sollte ein liberal verfasster Staat vorsichtig sein. Das kreativ-subversive Potenzial des Internets ist ein hohes Gut in einer freien, dynamischen Gesellschaft. Dennoch ist die Indizierung in diesem Fall in Ordnung. „Isharegossip“ verspricht schon im Namen und mit der Zusage strikter Anonymität nichts Gutes. Die guten Seiten eines Schulforums – Austausch, Debatte, Empfehlungen – können sich über andere soziale Netzwerke entfalten. Die Lösung des Problems bringt Indizierung aber nicht. „Isharegossip“ ist künftig schwerer zu finden, abschalten lässt sich die Seite nicht einfach so. Ihre Betreiber entziehen sich deutschen Gesetzen.

Aus den Tagesspiegel-Recherchen der vergangenen Woche ging unter anderem hervor, dass den kleinen Gossipern die Folgen ihres Tuns oft nicht bewusst sind. Sie sind ansprechbar. Engagierte Schüler und Lehrer setzen dort an. Anwälte gehen in die Schulen, um zu beraten. Doch diesen Initiativen fehlt noch die Breite. Politiker, Datenschützer, Journalisten, Pädagogen – sie alle brauchen mehr Internetkompetenz und müssen sie öffentlich besser vermitteln. Dass Berlins oberster Datenschützer bekennt, sich selbst „Isharegossip“ noch gar nicht angesehen zu haben, ist da sicher kein gutes Signal. Und dass das Bundesfamilienministerium die Indizierung im Februar in aller Stille beantragt hat, hilft einer kompetenten öffentlichen Debatte auch nicht. Angeblich wollte man nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf „Isharegossip“ lenken. Der Mob war da schon aufmerksam genug.

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