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Irak: Bagdad übernimmt

In 18 Monaten könnte der letzte der 150.000 GIs das Land verlassen. Dann ist die irakische Regierung allein Herr im Haus - ohne dafür bereit zu sein.

Iraks Parlamentarier haben noch keinen Sinn für historische Augenblicke. Über ein Jahr beschäftigte das Tauziehen um das künftige Stationierungsabkommen für die US-Truppen das politische Bagdad. Bis zur letzten Minute wurde zwischen allen Seiten und auf allen Ebenen mit harten Bandagen gefeilscht. Bei der wichtigsten Abstimmung seit dem Sturz von Saddam Hussein allerdings fehlte dann ein Viertel der Volksvertreter – abgereist zur großen Pilgerfahrt nach Mekka. Die schiitischen Vertragsgegner von Muqtada al Sadr schrieen in den Debatten Andersdenkende nieder und störten das Abschlussplenum mit Sprechchören und Getrommel. Und die sunnitischen Parteien versuchten bis zum Schluss, wenn auch vergeblich, für ihre Zustimmung eine Amnestie für alte Saddam-Verbrecher herauszupressen.

So sah er also aus, Iraks erster Schritt in die Unabhängigkeit. In spätestens drei Jahren, aber vielleicht schon in 18 Monaten wird der letzte der 150 000 amerikanischen GIs das Land verlassen haben. Dann ist die Regierung von Ministerpräsident Nuri al Maliki allein Herr im Haus.

Für Maliki ist das Votum ein Erfolg, auch wenn es am Ende nur magere zehn Stimmen überm Strich lag. Er wird in die Geschichte eingehen als derjenige irakische Politiker, der schließlich per Vertrag den Abzug der Besatzer durchsetzte. Maliki agiert als Patriot, strebt eine starke Zentralregierung an und will sein Land zusammenhalten. Genauso irakisch-national denkt sein schärfster Gegner, der radikale schiitische Prediger Muqtada al Sadr, auch wenn er die fremden Truppen lieber heute als morgen vor die Tür setzen möchte. An nationalen Ambitionen mangelt es also nicht im heutigen Irak. Nur reicht das alleine nicht, um das Land zu befrieden und zu stabilisieren. Zwar ist die Zahl der Attentate spürbar gesunken, aber immer noch vergeht keine Woche ohne neuen Horror. Die irakische Armee agiert effizienter, gewinnt im Kampf mit religiösen Milizen und kriminellen Banden langsam die Oberhand. Dennoch bleibt die Lage „fragil und reversibel“, wie es der US-Oberbefehlshaber vor Ort formulierte.

Das Zweistromland mit seinem demokratisch gewählten Parlament gehört inzwischen zu den korruptesten Staaten der Erde. Viele Stadtteile in Bagdad sind durch hohe Mauern getrennt – Betonbarrieren gegen Überfälle, Bomben und Entführungen. Große Teile der Intelligenz – Ärzte, Lehrer und Professoren – sind ermordet oder in die Nachbarstaaten geflohen. Im Land selbst irren zwei Millionen Vertriebene umher, ähnlich viele fristen als Illegale ein Elendsdasein in Syrien und Jordanien.

Der Irak hat einen langen und harten Weg vor sich. Und seine Politiker sind entschlossen, bald ganz auf die eigenen Kräfte zu setzen. Für die USA ist Bushs katastrophaler Feldzug demnächst abgehakt. Auch Europa hat seinen Schlussbeitrag zu dem Nachkriegsdrama dieser Tage taxiert: 10 000 Flüchtlinge will sich Brüssel aus der gestrandeten Millionenschar herauspicken. Um alle anderen soll sich der Rote Halbmond kümmern.

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