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Iran: Die Islamische Republik taumelt ihrem Ende entgegen

Das iranische Regime wankt, aber es fällt nicht - noch nicht. Revolutionsgarden, Milizen und Geheimpolizei sind ihm treu ergeben. Doch die Kraftprobe zwischen den Herrschenden und dem Volk hat sich so zugespitzt, dass es zu einem revolutionären Umsturz im Lande kommen könnte.

Was für ein Jahr für den Iran. Im Februar hatte die Führung noch mit großen Umzügen, triumphierenden Predigten und provozierenden Reden den 30. Jahrestag der Islamischen Republik gefeiert. Als Krönung schoss man damals den ersten eigenen Satelliten ins All, während sich Präsident Mahmud Ahmadinedschad stolz inmitten der unterirdischen Uranzentrifugen in Natanz fotografieren ließ. Der Iran präsentierte sich als kommende Atommacht und unbestrittene Hegemonialmacht des Mittleren Ostens – politisch, technisch und militärisch vorne. So war das selbstbewusste Signal an die arabischen Nachbarn. Und so lautete die Botschaft an die westliche Welt.

Zehn Monate danach taumelt die Islamische Republik ihrem Ende entgegen. Ausgerechnet am Ashuratag, dem höchsten Fest des schiitischen Islam, lässt das Regime auf die eigenen Leute schießen. Die mit brachialer Gewalt unterdrückten Unruhen nach den gefälschten Präsidentenwahlen im Juni sind zu einer Lawine angewachsen und haben das gesamte Land erfasst. Seit Monaten nutzte die Opposition den Festkalender des iranischen Gottesstaates, um das Demonstrationsverbot des Regimes zu unterlaufen. Und seit wenigen Wochen werden die Parolen auf den Straßen immer radikaler, wie trotz absoluter Pressezensur die Videoclips in zahlreichen Internetportalen dokumentieren. Der Oberste Religionsführer Ali Chamenei wird offen als Mörder und Diktator verhöhnt, sein Regime in einem Atemzug mit dem 1979 aus dem Land gejagten Schah genannt.

Längst geht es nicht mehr um eine Reform des bestehenden Systems, wie sie dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Mussawi und seinen grünen Beratern vorschwebte. Die jungen Demonstranten, die Staatsgründer Ajatollah Chomeini nur noch von Plakatwänden an Häuserfassaden oder als Heiligenbildchen aus regimetreuen Devotionaliengeschäften kennen, wollen eine andere Republik. Sie wollen demokratisch wählen und offen ihre Meinung sagen. Sie wollen reisen, feiern und musizieren. Und sie wollen das verhasste Joch der islamischen Moralpolizei endlich abschütteln. Kurz: Der iranische Nachwuchs will ein Ende der Diktatur im Namen Gottes.

Und zum ersten Mal wankt das Regime, auch wenn es noch nicht am Ende ist. Der Oberste Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei verfügt über hunderttausende ihm ergebener  Revolutionsgarden und Basij-Milizen. Das Justizsystem ist fest in der Hand seiner Getreuen. Ein weiteres Mal hat er seine Geheimpolizisten ausgeschickt, die engsten politischen Mitarbeiter der Oppositionskandidaten zu verhaften. Denn Chamenei ist nach wie vor zu keinerlei Kompromissen bereit. Leute aus seiner Umgebung kolportieren, der schiitische Chefgeistliche lebe nur noch in einer paranoischen Wahnwelt und sehe sich umgeben von feindlichen Mächten. Zu den politischen Realitäten im eigenen Land hat er offenbar keine Verbindung mehr.

So ließ das Regime alle politischen Vermittlungsversuche moderat konservativer Politiker ungenutzt verstreichen. Durch das Blutvergießen beim Ashurafest jedoch hat sich nun auch die letzte Tür für einen politischen Ausweg geschlossen. Den umstrittenen Präsidenten Ahmadinedschad jetzt fallen zu lassen, um die kochende Volksseele zu besänftigen, brächte für Chamenei keine Entlastung mehr. Löst der klerikale Staatschef in dieser Situation auch nur einen zentralen Stein aus seinem Machtgefüge heraus, rutschen er und seine Getreuen zusammen in den politischen Abgrund.

Niemand kann vorhersagen, ob Chamenei und sein Schützling Ahmadinedschad den ersten Jahrestag der gefälschten Präsidentschaftswahlen am 12. Juni 2010 nicht schon im Gefängnis erleben. Die Kraftprobe zwischen dem Regime und seinem Volk hat sich so zugespitzt, das es zu einem revolutionären Umsturz im Lande kommen könnte. Seit der Schlussphase des Schahs hat sich bei den Menschen nicht mehr so viel Wut gegen die eigenen Machthaber angestaut wie heute. Und es ist zu befürchten, dass diese sich erneut – wie vor 30 Jahren - in einer Phase blutiger Abrechnungen entlädt.

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