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Meinung: Iran: Thierse darf, Schröder nicht

Dass Diplomatie so kompliziert sein kann, hatte man schon fast vergessen, der Kalte Krieg liegt weit zurück. Am Wochenende hieß es, der Kanzler habe den geplanten Iran-Besuch abgesagt, nachdem Repräsentanten des Reformflügels zu hohen Haftstrafen verurteilt worden waren.

Dass Diplomatie so kompliziert sein kann, hatte man schon fast vergessen, der Kalte Krieg liegt weit zurück. Am Wochenende hieß es, der Kanzler habe den geplanten Iran-Besuch abgesagt, nachdem Repräsentanten des Reformflügels zu hohen Haftstrafen verurteilt worden waren. Am Montag verkündete seine Sprecherin, Schröder wolle doch reisen, der Termin müsse aber so gelegt werden, dass sich das Ziel erreichen lasse - eine Verbesserung der Beziehungen. Nur vordergründig ein Widerspruch, im Klartext heißt beides: Wir protestieren. Kein Besuch unter solchen Bedingungen. Später vielleicht schon, weil Deutschland die Lockerung der Diktatur unterstützen will.

Wie kann es dann aber sein, dass Bundestagspräsident Wolfgang Thierse noch im Februar reisen will? Nimmt das dem Protest des Kanzlers nicht die Glaubwürdigkeit?

Nein. Dies ist die richtige Doppelstrategie für ein Land im Übergang wie Iran: Reformer belohnen, gegen Rückschläge protestieren. Das Mullah-Regime ist eine Diktatur, aber nicht mehr totalitär in dem Sinne, dass es alle Politikbereiche unter totaler Kontrolle hätte. Die Justiz schon noch über den von Religionsführer Chamenei eingesetzten Wächterrat. Die Gerichte sind ein politisches Kampfinstrument der Konservativen. Das Parlament dagegen nicht mehr, die Wahl im Februar 2000 haben die Anhänger des reformorientierten Präsidenten Mohammed Chatami gewonnen. Sein Bruder Resa Chatami führt die stärkste Fraktion, und er hat die jüngsten Urteile öffentlich als politische Prozesse gebrandmarkt. Einen solchen Mann durch den Besuch des Bundestagspräsidenten - von Parlamentarier zu Parlamentarier - aufzuwerten, ist ebenso richtig, wie die jetzige Absage des Kanzlers.

Die rot-grüne Regierung muss sich jedoch fragen, ob sie die Entwicklung im Iran nicht zu optimistisch beurteilt hat. Beim Berlin-Besuch des Präsidenten Chatami im Juli 2000 wurde eine Normalität vorgegaukelt, die es noch gar nicht gab. Obwohl die Ermordung oppositioneller Exil-Iraner im Berliner Restaurant "Mykonos" und die politische Geiselnahme des deutschen Geschäftsmanns Hofer erst kurz zurücklagen, obwohl im Iran auch 1998 Intellektuelle ermordet wurden und 1999 die Zensur verschärft, tat die Bundesregierung so, als sei der Sieg der Reformer, als seien Öffnung und Demokratisierung nur noch eine Frage der Zeit. Der Kanzler wird sehr genau hinsehen müssen, wann eine Reise dem "Wandel durch Annäherung" dient.

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