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Israel und Europa: Alle reden immer nur über die Siedlungen

Mursi und andere Missverhältnisse: Die Kluft zwischen Israel und Europa vergrößert sich zunehmend.

Als das AJC 1998 sein Berliner Büro eröffnete, sah die Welt anders aus. Helmut Kohl war Kanzler. Die EU hatte 15 Mitglieder. König Hussein regierte Jordanien, Hosni Mubarak Ägypten und Jassir Arafat führte die Palästinenser. Bis zu den Anschlägen vom 11. September würden noch drei Jahre vergehen. Eines hat sich jedoch nicht geändert: Benjamin Netanjahu war 1998 Israels Premierminister und ist es auch heute noch. Verglichen mit damals steht er aber heute vor noch komplexeren Problemen.

Erstens stellt der Iran sowohl für Israel als auch für die sunnitischen Regierungen der Region mittlerweile die größte Gefahr dar. Ein atomar bewaffneter Iran rückt näher. Zweitens gingen nach dem Rückzug Israels aus Südlibanon 2000 und aus Gaza 2005 die Hisbollah und die Hamas auch dank iranischer Unterstützung militärisch gestärkt hervor.

Drittens haben sich die letzten vier israelischen Regierungschefs für eine Zweistaatenlösung mit den Palästinensern ausgesprochen. Jeder der letzten vier israelischen Regierungschefs versuchte, durch Friedensverhandlungen ein Abkommen für eine Zweistaatenlösung zu erreichen. Jeder von ihnen scheiterte an den Palästinensern.

Viertens hat der arabische Aufstand zu einer neuen Dynamik in der Region und damit auch für Israel geführt. In Ägypten sind die Islamisten erstaunlich stark, was die zukünftige Ausrichtung des größten Landes der arabischen Welt unberechenbar macht. Dazu ist Syrien, Israels Nachbar mit einem beachtlichen Arsenal an chemischen Waffen, ein tragisches Beispiel für ein menschenverachtend brutales Festhalten an der Macht. Fünftens werden viele Israelis zunehmend skeptischer, was die Möglichkeit eines Friedens betrifft. Einige Europäer verstehen dies nicht. Israelis sehnen sich weiterhin nach Frieden, doch sehen sie die Rahmenbedingungen dafür in der Region schwinden.

Und so vergrößert sich die Kluft zwischen Israel und Europa zunehmend. Hier sei exemplarisch die europäische Einschätzung genannt, dass die Überbetonung der israelischen Siedlungspolitik die Krux sei, während gleichzeitig das destruktive Verhalten der Palästinenser nur am Rande erwähnt wird. Dieses Missverhältnis lässt das Vertrauen israelischer Politiker in Europa schwinden.

Dass es keinen Aufschrei über die widerwärtigen antisemitischen Aussagen von Ägyptens Präsident Mursi gibt, die er 2010 gemacht hat, die aber erst jetzt publik wurden, und dass es keinen Protest gegen Präsident Abbas’ Huldigung Amin el Husseinis, dem Mufti von Jerusalem und Unterstützer der Nazis im Zweiten Weltkrieg, gibt, zeigt: Europäer und Israelis leben nicht nur auf unterschiedlichen Kontinenten, sondern sogar mitunter auch auf unterschiedlichen Planeten.

Wie immer ist die deutsche Haltung von besonderer Bedeutung. Deutschlands einzigartige Verbundenheit zu Israel und seine ausgeprägte Sensibilität für die Gefahren, denen der jüdische Staat ausgesetzt ist, sowie die deutsche Führungsrolle in Europa verschaffen dem Land eine einzigartige Position. Berlin verhehlt seine Unzufriedenheit mit dem israelischen Siedlungsbau nicht, doch die Bundesregierung versteht auch, dass es größere Probleme gibt. So kontrovers die Siedlungen auch sein mögen, die Wurzeln des Konflikts liegen in der fehlenden Bereitschaft, Israels Existenz anzuerkennen.

Dies ist auch die Position der Vereinigten Staaten. Die Differenzen zwischen Präsident Barack Obama und Netanjahu wurden lang und breit beschrieben, doch solche Spannungen gab es mit jeder amerikanischen Regierung. Zwei Länder haben nie ein und dieselben Interessen, und das ist selbst bei solch engen Partnern wie den USA und Israel der Fall. Diese Meinungsverschiedenheiten haben niemals die engen bilateralen Beziehungen gefährdet. Im Gegenteil, die Zusammenarbeit zwischen Washington und Jerusalem ist so eng wie nie zuvor. Und dies wird auch so bleiben.

Es hat sich viel verändert, seit das AJC 1998 sein Berliner Büro eröffnet hat. In Bezug auf den Nahen Osten sind es leider nicht nur Veränderungen zum Besseren.

Der Autor ist der Geschäftsführer des American Jewish Committee (AJC).

David Harris

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